Das ist wohl die Krönung!

Mitten im Krieg und in Krisen all around wird ein König gekrönt. Mit Kutsche, Krönungsmesse und Krone. Kneif mich: Ein Land, dessen Gesellschaft und Wirtschaft gerade in die Knie gehen, leistet sich ein Ritual aus dem Hochmittelalter?

St. John’s Church in Calcuttakoloniale Spuren britischer Monarchie

So ist es. Es ist keine Zeremonie für die Gala, es ist tatsächlich ein göttlicher Akt. Der Erzbischof von Canterbury salbt (!) symbolisch das Haupt mit heiligem Öl und übergibt die Insignien. Ein König von Gottes Gnaden, Wahrer des Glaubens, Oberhaupt der (anglikanischen) Kirche. Nichts dagegen, aber Gnade brauchen eigentlich seine Subjects mehr denn je. Der künftige Monarch hat für sich längst ausgesorgt.

Warum braucht es im Zeitalter von Drohnen und K.I., von Finanz-Crashs und Massenschießereien, von Klimakatastrophen und subversiven Social Media einen solchen Akt? Welches Signal sendet Europa in das Hochland von Kenia, an die Völker auf dem Dekhan oder an die Küsten der Karibik?

Es ginge bestimmt auch eine Nummer kleiner, eine einfache Proklamation täte es. Das Empire gibt es nicht mehr und die einstigen Kolonien – vor allem das Kronjuwel – sind wirtschaftlich potenter als das Mutterland. Zudem machen selbsternannte quasi-Könige mit goldglänzenden Möbeln in ihren Palästen, sei es in Moskau, Manhattan oder Ankara Konkurrenz. Unvergessen die Krönung von Bokassa I. zum Kaiser von Zentralafrika, bei dem tatsächlich ein französischer Staatspräsident anwesend war.

Unsere von Umsatzsorgen gebeutelte Presse sucht nach Glanz und Macht, nach Prunk und Pracht, um die Leser(innen) zu befriedigen. Einmal was anderes als Verbrechen und Attentate oder der Clip eines Glatzkopfes, der vor einer Reihe von Getöteten steht – wie bei einer Treibjagd erlegt – und nach mehr Munition schreit.

Ich plädiere daher für die Ablösung der Bundesversammlung durch eine Krönungszeremonie im Aachener Dom. Man müsste dazu die Reichsinsignien aus der Wiener Hofburg entwenden, gegen Gebühr macht das sicher ein Berliner Clan. Für die Krönung von Walter I. (oder Dieter II. oder Günther III.) bewerbe ich mich als Mundschenk („… wenn ich König von Deutschland wär“). Vorher lasse ich mir eine Tasse Filterkaffee munden – immerhin auch eine Krönung.

Nachtrag: England von seiner allerbesten Seite. Eine Glosse von John Grace im GUARDIAN, 6.5.2023

2 Gedanken zu “Das ist wohl die Krönung!

  1. Ja, das ist schon ziemlich surreal. Es wäre ja eigentlich ok, wenn die Briten mal etwas Schönes traditionelles zu sehen bekommen. Wenn die Krönung nur nicht so viel Geld verschlingen würde, das woanders dringend gebraucht würde…

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