Bahn-Retro: Das 49-Rupien-Ticket

Alle diskutieren über das neue Deutschland-Ticket, gut so. Meine Erinnerungen gehen zurück in das Land der ultimativen Bahnabenteuer: Indien.

Einst ein Traum für Dampflok-Fans: auf dem Bahnhof von Jaisalmer (Rajasthan), Dez. 1984

Zwischen 1983 und 1986 sind wir zehntausende Kilometer in den langen Ferien durchs Land gereist. Die Fernzüge verbinden nicht nur die sechs Metropolen Mumbai (Bombay), Delhi, Kolkata (Calcutta), Chennai (Madras), Bengaluru (Bangalore) und Hyderabad, sondern auch alle Winkel des Landes.

Vorortzug am Chatrapati Shivaji Terminus (CST) in Mumbai

Es gibt einen Zug zwischen Tiruvananthapuram (Trivandum) und Guwahati (Gauhati) – die Entfernung Lissabon bis Sankt Petersburg – oder zwischen Ahmedabad und Madurai. Bei Pilgerrouten zwischen Varanasi und Rameswaram spielen Zugverbindungen eine große Rolle. Und von den Bundesstaaten argwöhnisch beobachtet wird das Railway Budget der Zentralregierung, geht es doch um „Infrastrukturprojekte“ im eigenen Territorium, finanziert von Delhi.

Seit der Unabhängigkeit ist das Bahnnetz modernisiert, die Spurweiten angeglichen und das Streckennetz ungeheuer erweitert worden: Heute verbindet die Konkan Railway die Stationen entlang der Westküste, von Kerala über Goa bis Mumbai – die Route galt einst als unbezwingbar. Eine Bahnlinie wird in den Himalaya gebaut und hat schon das Tal von Kashmir erreicht, man kann dann von Delhi nach Srinagar im Zug fahren.

Das Netz wird weiter elektrifiziert und die Geschwindigkeiten erhöht. Aber schon vor 40 Jahren fuhr man in einem der schnellsten Züge, dem Coromandel-Express, in 24 Stunden von Madras Central nach Calcutta Howrah.

Zwischenstopp auf dem Weg nach Calcutta, August 1987

Wer Indien kennen lernen will, sollte die Bahn nutzen. Bahnhöfe sind Städte in den Städten. Früher musste man Tage vor der Fahrt an Schaltern mit roten und grünen Plättchen anstehen, letztere markierten die freien Plätze. Heute ist auch Indian Railways digitalisiert.

Howrah Station, Kolkata (2017)

Ohne Ticket blieb uns im September 1977 nur die Gepäckablage im Amritsar-Howrah Mail. Es ging, versorgen kann man sich bei den ziemlich langen Wartezeiten auf den Bahnsteigen.

Stopp mit Versorgung auf freier Strecke (Konkan Railway Dezember 2002)
Leckere Sachen aus der Zeitung, am Zug im Dezember 2002

Auf meinen geführten Reisen habe ich immer wieder eine Strecke im Zug für meine Mitreisenden eingebaut, so von Calcutta Sealdah nach Siliguri (im Darjeeling Mail) oder Goa nach Kannur (Cannanore), siehe Foto oben, oder im Nachtzug von New Jalpaiguri (für Darjeeling) bis Mughal Sarai (jenseits des Ganges in Varanasi). Letzteres Abenteuer endete damit, dass unsere Gruppe von einem Dutzend Gepäckträgern am Bahnsteig, exakt an unserem Wagen erwartet wurde.

Im Zug von Cochin nach Mumbai, April 1982
Mangos zum Selberschälen

In den Zweiter-Klasse-Liegewagen (Two oder Three Tier Sleeper) zu reisen, hatte den Vorzug, dass man sich im „Großraumwagen“ sicher fühlte, alle passten aufeinander auf, wenn man mitten in der Nacht einen Tee oder Bananen besorgen wollte. In den Tagen im Zug lernte man die Mitreisenden kennen. Auf dem Weg von Cochin (Ernakulam) nach Mumbai Central im Spätsommer 2000 hatte ich einen Musiker auf der Liege gegenüber. Das ließ mich sogar die Hitze im April (A/C Class war für mich unerschwinglich) vergessen.

Life Musik im Zug

Überhaupt waren Nachtfahrten in der Bahn das Praktischste: Man kam einigermaßen ausgeschlafen am Ziel an. So war die Strecke von Madurai nach Chennai unsere Standard-Route zu Besorgungen in der Landeshauptstadt. Nachmittags ging es per Bus aus den Bergen an die Bahnstation Kodai Road, dort kam der Pandian Express nach der Dunkelheit an. Zum Sonnenaufgang ratterte der Zug dann durch die Vororte von Madras, bis er in Egmore Station einfuhr.

Das Ticket in Second Class Sleeper, das über eine Ticket-Quote für Kodaikanal von meinem Arbeitgeber reserviert wurde, kostete damals weniger als 50 Rupien, um die 10 DM oder heute 5 Euro.

Im Assam Mail (2nd Class Sleeper, A/C) zwischen New Jalpaiguri und Mughal Sarai (Varanasi), 2006

Über die Erfahrungen mit Indian Railways in den Zeiten, als man seinen Namen auf Zetteln angeklebt an den Waggons suchen musste, als mitten in der Nacht Gestalten an den Wagen entlang liefen, die „Jaia jaia jaia“ riefen und an die Fenstergitter klopften, „You want Jai?“, als man an einem Bahnhof das Dinner-Tiffin (!) vorbestellen musste und es tatsächlich nach dem nächsten Bahnhof serviert wurde, müsste man ein Buch schreiben. Man müsste… aber es ist bestimmt schon geschrieben.

Ich frage mal meinen Bot Kobold „Nenne mir Bücher zum Bahnfahren in Indien!“ Er wählte super Titel aus (Paul Theroux ist ein Top-Autor und V.S. Naipauls frühe Werke zu Indien sind mehr als empfehlenswert, RJ).

  1. „Travels by Indian railways“ von Ruskin Bond
  2. „The Great Railway Bazaar: By Train through Asia“ von Paul Theroux
  3. „Chai, Chai: Travels in Places Where You Stop But Never Get Off“ von Bishwanath Ghosh
  4. „A Million Mutinies Now“ von V. S. Naipaul (enthält auch Passagen über Bahnfahrten in Indien)
  5. „The Last Train to Zona Verde: My Ultimate African Safari“ von Paul Theroux (enthält auch Passagen über Bahnfahrten in Indien)

6 Gedanken zu “Bahn-Retro: Das 49-Rupien-Ticket

  1. Wahnsinn, Bahnfahren war mir damals nicht vergönnt … erlaubt … Wurscht Danke für die tollen Bilder. Jetzt stellt euch mal das wäre als irgendwann highspeed train ….

    Gefällt 1 Person

    1. Danke, T. Musst Du unbedingt mal machen: Steig z.B. abends in Mumbai CST (Chatrapati Shivaji Terminus) in den Mumbai Nagercoil Express und komme 36 Stunden später am Südkap (Kap Komorin) an. Eine life changing experience.

      Like

      1. Das glaube ich gern … kommt auf die Liste … ich fürchte nur … die Liste ist lang …

        Like

  2. Oh wie cool. Wir hatten ja neulich auch zweimal die Bahn genommen in Indien und es war jedesmal ein Erlebnis. Meine Kommentare auf dem Ipad geschrieben kommen übrigens neuerdings nicht mehr durch. Liegen die vielleicht bei dir irgendwo im Spam oder hab ich hier ein Problem?

    Gefällt 1 Person

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.