In bester Lage in Den Haag, im Regierungsviertel rund um den Binnenhof, liegt das Mauritshuis. So steht es auch in goldenen Lettern über der klassizistischen Fassade des Palais, dessen Rückseite an den Hofvijver grenzt.

Es wurde zwischen 1633 und 1644 erbaut, vollendet rechtzeitig zur Rückkehr des Bauherrn: Johann Moritz Fürst von Nassau-Siegen hatte erfolgreiche acht Jahre in Brasilien verbracht. In Siegen, wo er begraben liegt, ist eine Straße und ein Gymnasium nach ihm benannt. Wie konnte sich ein Adliger aus der südwestfälischen Provinz ein so prächtiges Palais leisten, mitten im Dreißigjährigen Krieg?


Die Antwort finden wir an seinem Porträt im Foyer des Hauses. Der Grund unseres Besuchs: Es beherbergt seit 1822 eine der berühmtesten Galerien niederländischer Meister, darunter elf Rembrandts und vor allem das „Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ von Jan Vermeer. Das Gemälde war zwischenzeitlich für die aktuelle Vermeer-Ausstellung im Rijksmuseum in Amsterdam ausgeliehen, bei unserem Besuch aber zurück im Mauritshuis.
An jenem Gemälde des stolzen Hausbesitzers vermerkt eine Tafel, dass bislang die historischen Verdienste von Johann Moritz im Vordergrund gestanden hätten. Dabei sei übersehen worden, dass in seiner Zeit im Nordosten Brasiliens (1636-1644) mehr als 24.000 Sklaven von Afrika importiert wurden – Menschenhandel größten Stils.


Die Pracht des Palais bekommt dann schon eine Patina. Und die Rolle der niederländischen Handelsgesellschaften im Sklavenhandel über den Atlantik, aber auch in Asien, wird derzeit immer intensiver aufgearbeitet.
Sklavenhandel an der Coromandel-Küste. Reiners.blog, 23.8.2019
Diesem Hintergrund zum Trotz bleibt ein Besuch des Mauritshuis gleichwohl eine kulturelle Bereicherung. Über drei Stockwerke hängen jene markanten Meisterwerke in den einstigen Wohnräumen des Palais. Scharen von Touristen drängen sich entlang der Bilder, deren Realismus als Spiegel der Niederlande im 17. Jh. beeindrucken, seien es Stillleben, Porträts oder Szenen wie „Die Anatomie des Dr. Tulp“, das Meister Rembrandt 1632 malte.




Und ähnlich wie im Louvre vor der Mona Lisa ist das Gedränge vor jenem Mädchen, das auffällige Perlen am Ohr trägt, besonders groß.
„Mein Landsmann“ aus dem Siegerland, Johann Moritz, hat mitten in Den Haag einen architektonischen Schatz hinterlassen. Seine Arbeit in Niederländisch-Brasilien wurde hochgelobt. Aber 400 Jahre später wird immer deutlicher, dass der Wohlstand der Eliten Europas im 17. und 18. Jahrhundert auch und vor allem im Menschenhandel begründet war. Die Folgen in Brasilien, Haiti oder den USA sind bis heute zu sehen. Kritische Geschichtswissenschaft hat damit eine neue Aufgabe erhalten.