Für einen Moment versuche ich alle Kritik an der Blumen-Intensivkultur und den eisigen Wind an diesem Apriltag zu vergessen: Vor uns breiten sich die Tulpenfelder zwischen Nordwijk und Lissen aus. Es ist ein Bild von Fülle und Farbspiel. Mit den Tulpen beginnt immer das neue Jahr, pünktlich am 2. Januar kaufen wir den ersten Strauß. Die roten, gelben oder rosa Blüten (und die Gärtner) haben die Hoffnung auf uns noch nicht aufgegeben. Ein Land, welches der führende Blumenexporteur auf dem Globus ist, muss ein gutes Land sein, so glaube ich. Wer braucht schon Panzer oder Gewehre?



Und doch führten gerade Tulpenzwiebeln in die erste große Krise des frühneuzeitlichen Kapitalismus. Vor 400 Jahren und mitten in der brutalsten Phase des Dreißigjährigen Krieges in den deutschen Staaten boomte (ein paar heutige Fahrstunden) weiter westlich die Wirtschaft. Die Niederlande waren Welthandelsmacht mit Dependancen zwischen Nagasaki, Jakarta, Surat und Curacao. Krieg hin oder her, es wurde kräftig verdient an und mit Waren für die höfische und zunehmend auch bürgerliche Elite Europas.

Geld suchte Anlagen: Man konnte sich von Vermeer malen lassen, oder einen Rembrandt bestellen, man konnte prächtige Häuser an den Grachten Amsterdams bauen oder man konnte chinesisches Porzellan kopieren und als Delfter Keramik in alle Welt exportieren, nicht mit Drachen verziert, sondern mit Windmühlen. Der letzte Schrei aber waren jene bunten Blumen aus Nordpersien, deren Zucht noch in den Anfängen steckte, die aber hochbegehrt waren. Es wurden Unsummen in Blumenzwiebeln investiert, es wurde auf Züchtungen spekuliert. Die Preise stiegen ins unermessliche und fielen ebenso plötzlich wieder – mit gigantischen Verlusten für Spekulanten.
Als Tulpen den ersten Börsencrash auslösten. SPEKTRUM.de


Unser westlicher Nachbar lässt Blumen sprechen. Wüsste man nicht um die ökologischen Kosten, es wäre eine Botschaft von Flower Power aus den Niederlanden. Aber das bunte Treiben hier im Sand jenseits der Dünen von Nordwijk ist kurzlebig. Nach Pfingsten ist der Freiland-Farbenspuk vorbei.
Wenn sie nicht geschnitten wurden, mäht eine gnadenlose Maschine die Tulpen nieder. Sie landen als Teppich aus Blütenblättern zwischen den kopflosen Stengeln.


Bevor sie uns in unseren Vasen erfreuen können, ist ihre Blüte beendet. Sie werden buchstäblich untergepflügt. Gibt es eine bessere Metapher für unsere Zeit?