Vor 40 Jahren: Aufbruch in eine andere Welt

Im April 1983 lag ein Brief des indischen Generalkonsulates in Frankfurt im Briefkasten. Er enthielt eine Nachricht vom Ministry of Home Affairs in Neu Delhi: „The Government of India … has no objection to the grant of a visa … to Reiner Bruno Maria Juengst and family.“ Das Generalkonsulat bat zugleich, mit unseren Pässen persönlich zu erscheinen. Die Visum-Stempel könnten wir dann entgegen nehmen. Wenige Tage später saßen wir im Arbeitszimmer des Generalkonsuls, der uns beglückwünschte: Wir hatten nach zwei Jahren Wartezeit und ein Auf und Ab, über die Landesregierung in Tamil Nadu, zum Innen- und zum Außenministerium in Delhi ein Arbeitsvisum für Indien!

Heute ist das alles kaum vorstellbar, Visa beantragt man digital und ein Auslandsaufenthalt fürs Studium in Atlanta, Praktikum in Kyoto oder als Freiwilliger in Kathmandu ist organisatorisch kein Problem. Ganz anders in der Zeit ohne E-Mail, Fax oder auch nur Telefon. Die Worte „Globalisierung“ oder „Global Nomads“ waren nicht einmal erfunden.

Dann ging es los: Wohnung kündigen und auflösen, Krankenversicherung, Kindergeldstelle, Rentenversicherung, Bausparkasse, Meldebehörde und gefühlt hundert andere Einrichtungen informieren – es brach eine Welle von Briefen, Bescheiden und Ratschlägen auf uns herein. Ich meldete unseren Wohnsitz nach Tamil Nadu um. Wir wurden „Residents of India“ zahlten dort Steuern und Sozialbeiträge und waren über den Arbeitgeber krankenversichert.

Einen guten Kubikmeter „persönlicher Effekten“ erlaubte mein Arbeitsvertrag. Ich fand in einer Kleinanzeige eine sogenannte Überseekiste aus Blech, wie sie Auswanderer in die USA mit aufs Schiff mitgenommen haben. Sie passte genau in meinen Passat Variant und hatte ein Volumen von 1,1 m³. Aber die Ausfuhr sei nur mit Abmeldebescheinigung des Hauptwohnsitzes erlaubt, teilte mir die Hafenbehörde in Bremen mit, über die ich Frachtraum auf einem Schiff der Nedlloyd nach Madras (heute Chennai) gebucht hatte. Gesagt getan, und plötzlich erhielt ich einen Brief des Kreiswehrersatzamtes in Wiesbaden, ich unterliege der Wehrüberwachung und müsse eine Genehmigung zur Ausreise beantragen. Ging zum Glück glatt.

Mit der Kiste unterwegs von Mainz nach Bremen (Anfang Mai 1983)

Mit einem Freund fuhr ich die Kiste von Mainz in den Bremer Überseehafen. Zwischen all den Lastwagen sah mein Auto aus wie ein Zwerg, die Gabelstapler-Fahrer waren belustigt. Einer nahm vorsichtig meine Kiste in die Zange, eine falsche Bewegung und mein Auto wäre Schrott gewesen. Es gelang ihm, die schwere Kiste aus dem Auto zu ziehen. Ich lief hinter ihm her in die Halle, in der er verschwand, und stellte sicher, dass er sie in ein Regal lud, auf dem „Madras“ stand. Ich erhielt den Fracht- und Zollbeleg und ab ging es zurück nach Mainz. (Die Kiste kam püntklich zwei Monate später in Madras an, ich hatte 300 DM für die Fracht investiert.)

Mitte Juni: Abschied von Familien und Freunden am Frankfurter Flughafen. Über Abu Dhabi und Colombo ging es nach Chennai und weiter nach Madurai. Dort holten uns künftige Kollegen ab und brachten uns an das Ziel des neuen Lebensabschnitts: nach Kodaikanal, einem ehemaligen kolonialen Hill Station in 2200 m Höhe in den Palni Hills. Für drei Jahre blieb Kodai unsere Heimat.

All dies und die vielen Reisen in dieser Zeit quer durch den Subkontinent (wir haben mit unseren Kindern zehntausende Kilometer zwischen Kulu-Manali und Kanyakumari, zwischen Ahmedabad und Calcutta in Second Class Sleeper-Expresszügen durch Indien zurück gelegt) würden ein Buch füllen, das es wohl noch zu schreiben gilt. Aber hier sind Fotos (alles von 1983/1984) aus dem ersten Jahr in unserem neuen Domizil, die einen Eindruck der Berglandschaft in Südindien vermitteln mögen.

Kodai Lake, der Perumal Peak im Hintergrund

Gebäude des Bootclubs am Lake

Wanderung zum Perumal Peak

Blick über dei Palni Hills zu den West Ghats

Golfplatz von Kodaikanal

Fotos gibt es auch in einem anderen Layout (reinersphotobook.wordpress.com)

Ein Gedanke zu “Vor 40 Jahren: Aufbruch in eine andere Welt

  1. Toll Reiner, danke für die Zeitreise. Das triggert bei mir ganz viel … ich schreib dir die Tage mal wieder eine Mail (kein Fax;-))

    Like

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.