Der Spekulatius-Konflikt

Gestern im Supermarkt: Krisenstimmung zwischen den Regalen. Es geht um Territorium, Ressourcen und Macht. Die Fronten sind seit Jahren verhärtet. Auf der einen Seite die lila Kühe, die Sarotti-Mohren (darf man das noch sagen?), die quadratischen Ritter, die Bahlsen-Kekse, die Armee von Lindt-Pralinen und die namenlosen Hilfstruppen, die sich „Ja“ auf die Uniformen schneidern oder sich stolz Gut & Günstig nennen*. Sie haben ein angestammtes Territorium unweit der Kassen.

*(nur eine Auswahl, Werbung ist nicht beabsichtigt).

Auf der anderen Seite des Konflikts stehen Spekulatius und Co., hier der Mandelspekulatius im soliden Karton, der Gewürzspekulatius in der Tüte und der hochnäsige Butterspekulatius, der sich verpackungsmäßig klein aber laut knisternd präsentiert. Dieses „sogenannte Weihnachtsgebäck“, wie es vom gegnerischen Regal tönt, hat um diese Zeit im Jahr immerhin schon die Grillsoßen und das Partygebäck erfolgreich besiegt, jedenfalls bis zum Angrillen im neuen Jahr. Man erwartet dann die Frühjahrsoffensive, meist einige Monate nachdem Rosen und Astern von den Tulpen überrumpelt wurden.

Aber die Spekulatius-Offensive im Spätsommer werde immer dreister, heißt es aus Kekskreisen. Das bestreitet der Mandelspekulatius gar nicht. Ihm und seinen Verbündeten, wozu noch Pfeffernüsse – weiß oder mit Schokolade gehören, schwebt eine ganzjährige Weihnachtsstimmung in der Gesellschaft vor. Nur diese sei nachhaltig und mache unabhängig von ausländischen Lieferungen. Nachschubwege für Printen, bunte Lebkuchen und Marzipan seien garantiert und die Speicher schon zu 80 % gefüllt.

Das Personal im Supermarkt versucht zu vermitteln, aber der Autokrat in der Filialleitung lässt nicht mit sich reden (man munkelt, er sei von den Pfeffernüssen erpressbar worden): Das Territorium für Spekulatius und Co. sei eindeutig vor der Kasse, basta. Aber er denke über ein Entlastungspaket für die anderen nach, etwa drastische Preissenkungen. „Wir lassen keinen allein“ sagt der Filialleiter. „Gießkannenprinzip“, „kein wirkliches Konzept für die Bedürftigen“ (vor allem die 100 Gramm-Tafeln) und eine Abwertung des Leistungsprinzips, so schallt es aus dem klassischen Süßigkeitenregal.

Ich will helfen und bitte Mandelspekulatius und Pfeffernüsse weiß in meinen Einkaufswagen. „Wir können das bei mir auf der Terrasse weiter diskutieren“ flöte ich. Später sitzen wir gemeinsam, ich in Shorts und T-Shirt, in der warmen Sommersonne. Der Mandelspekulatius ist seit jeher für Laufzeitverlängerung von Weihnachtsgebäck. Seine Packung vermeldet, dass er bis März 2023 genießbar ist. „Das wird ein Spekulatius-Ostern!“ triumphiert er schon. Die Pfeffernüsse sind skeptischer: „Wir sind doch schon im November ganz ausgetrocknet“ Und was ist erst mit den Schokoladenkugeln und -nikoläusen im Sommer, denke ich vor mich hin.

Da kommt eine Tasse Kaffee vorbei. Ich nutze die Chance und schnappe mir Pfeffernuss und Spekulatius zwischen die Zähne. Hmmm, sooo gut. Jetzt ist Ruhe auf der Terrasse und ich kann mich wichtigeren Fragen für Weihnachten widmen. Etwa ob ich Ochs und Esel anschaffe und sie gelegentlich zur Wärmespende ins Wohnzimmer bitte.

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