Jede Meldung, dass der Gasfluss durch die „Nordströmung“ Nord Stream unterbrochen werde oder sei, ist bei uns jetzt Topnews. Wäre es nicht geopolitisch so ernst, es wäre zum Lachen.
Als 2015 eine zweite Leitung aus dem überaus zuverlässigen und unschlagbar günstigen Lieferanten Russland nach Deutschland quasi alternativlos war, da suchte sich ein Ministerpräsident in der Türkei eine eigene Alternative: In Partnerschaft mit Azerbaidshan ließ Recep Erdogan eine Pipeline von Baku über Georgien quer durch die Türkei nach Istanbul bauen, mit Anschluss nach Griechenland und Süditalien. 2018 war die TANAP (Trans Anatolian Natural Gas Pipline) fertig. Und das ganz ohne deutsche Vertragspartner, weder bei dem Bau noch beim Betrieb. Clever gedacht. Die TANAP liefert Gas, da kann Gazprom Angstmacher bei uns spielen so lange „es“ will (werden eigentlich die alten Bilder von Schalke-Stars jetzt retuschiert?).

Auf dem Weg von Erzincan an die Schwarzmeerküste und gerade als die ersten Schneefelder des Pontischen Gebirges in Sicht kamen, kreuzten wir im Mai 2016 die Baustelle der Pipeline. Wir sprachen kurz mit einem jungen Ingenieur, der an der Straße eine Zigarettenpause eingelegt hatte.
Es wird die hierzulande vorherrschende Selbstüberschätzung hoffentlich schmerzen, jetzt zu erkennen, wie sich Wirtschaft, Politik und große Teile der Gesellschaft in der Einschätzung des Kremls vertan haben. Erst recht die, welche selbstzufrieden dort ein- und ausgingen, als von vielen Seiten im Ausland deutlich und nachhaltig gewarnt wurde. Eine politische Partei ist davon ausgenommen, aber sie ist zu vornehm, dauernd auf ihre früheren Warnungen hinzuweisen. Dafür treten in Talkshows all die auf, die jetzt ein verholenes mea culpa stottern (that was then) und ganz schnell zur neuen Tagesordnung übergehen – mit der gleichen Selbstüberschätzung wie einst. Scheint das ist in unserer DNA.
Mit deutlicher Süffisanz wies der GUARDIAN vor Kurzem daraufhin, dass jetzt der Bau eines LNG-Terminals in sieben Monaten möglich ist, in einem Land, das sieben Jahre und mehr braucht um einen neuen Flughafen oder ein Konzerthaus zu bauen. Am Ende müssen wir Gazprom sogar dankbar sein.