Brauchen wir Engel?

Er fiel mir sofort auf: Ein goldener Engel sitzt nachdenklich auf einem verzierten Gesims über dem Altarraum. Alles ist hier aus Holz, vom Boden bis zur Decke, vom Altartisch bis zur Orgelempore. Wir sind in der Gustav-Adolf-Stabkirche von Hahnenklee im Harz.

Vor fast 120 Jahren im Stil norwegischer Stabkirchen erbaut, ist sie nahezu ein Unikat in Deutschland. Jeden Samstag um 15 Uhr spielt das Carillon-Turmglockenspiel Melodien. Am Tag unseres Besuchs saßen Wanderer auf Bänken rund um die Kirche, um dem Glockenspiel zu lauschen.

Das Innere des Gotteshauses ist noch beeindruckender als seine äußere Form: braune Farbtöne rundum, eine Art geistliches Blockhaus. Einigen Besuchern sind es die 2 Euro-Spende für den Besuch nicht Wert, sie verpassen eine einzigartige Atmosphäre.

Der Engel rechts über dem Altar bleibt ruhig, seine Flügel gespreizt, als wolle er davon fliegen. Ich frage mich: Wird er gebraucht?

Von Engeln, die frohe Botschaften verkünden, bis zu Racheengeln aus der „Offenbarung“ bieten religiöse Texte aller Weltreligionen eine ganze Bandbreite jener Lichtgestalten, oft in weißen Gewändern und immer mit Flügeln.

Kein Esotherik-Laden, der was auf sich hält, kommt ohne ein Angebot von Engeln aus: auf Tassen oder Magneten für den Kühlschrank, als Umhänger oder für die Handtasche. Wahlweise aus Holz, Keramik oder Metall. Im Outlet einer noblen Porzellanfirma in der Oberpfalz fanden wir eine Abteilung mit Engelchen, in allen Größen und Positionen – die Edelvariante für den gehobenen Geschmack. Engel haben sich von konfessionellem Denken emanzipiert und werden als Beschützer in einer gefahrvollen Welt allseits akzeptiert.

Quelle: t-online.de, 15.8.22

Brauchen wir also einen Schutzengel? Er ersetzt nicht Umsicht und Bedacht, er mag weniger relevant sein bei Free-climbing oder Formel 1-Rennen. Aber ich wünsche ihn mir einer ganzen Menge Berufsgruppen zur Seite: Notärzt(inn)en und Feuerwehrleuten, Rettungsfliegern und -schwimmern, ja auch Polizist(inn)en und Soldat(inn)en. Allen, die Schutzengel-sein zum Beruf haben. Und wenn ich gerade so einem Zusammenprall mit dem Auto oder einem bösen Sturz entgangen bin, wenn ein Mensch, der mir nahe steht, von einer Krankheit geheilt ist, dann bin ich mir ziemlich sicher: Es muss ein Schutzengel gewesen sein.

Was fehlt, ist ein Schutzengel für den ganzen Planeten. Wir bräuchten einen gegen Ignoranz und Hysterie, gegen Gewalt und Unheil. Aber vielleicht entdeckt ihn das Webb Space Telescope ja noch.

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