In Indien verschmelzen zuweilen unglaubliche Gegensätze miteinander. Das gilt vor allem für südindische Großstädte wie Tiruchirapalli. Denn wo sonst könnte man in einem streng vegetarischen Restaurant eine Portion Dosai mit leckeren Chuttneys an offenen neogotischen Fenstern und mit einem Renoir an der Wand einnehmen?

Im Vasantha Bhavan in der Altstadt unterhalb des Rockfort Tempels konnte mir niemand sagen, wie Renoir’s „Frühstück der Ruderer“ (gemalt 1880/81) dort an die geflieste Wand kam. Aber gut gepflegt war die Malerei, die Farben wirkten frisch. Von meinem funktionalen Tisch konnte ich durch die Fensterbögen auf den heiligen Teich blicken, an dessen anderer Seite der Turm der neugotischen Kirche „Unserer Frau zu Lourdes“ zu sehen war.



Unter meinem Fenster brodelte der Verkehr, in dem Mensch, Fahrrad, Autorikshaw und dann und wann ein Auto friedlich durcheinander wirbeln – begleitet von einem Hupkonzert im besten Sinne des Wortes.
Von der Straße aus sah ich, dass im Untergeschoss des Restaurants und versteckt hinter Leitungen und Drähten das Telegraphenamt Trichys seinen Platz hatte. Wie bitte, Telegraphenamt? Das 19. Jahrhundert lebt in Indien gleich neben dem 21. Vielleicht hatte man die Beamten in vermutlich dunklen Räumen mit großen Schreibtischen einfach vergessen.


Am Nachbargebäude, zwischen einem Buchladen und einem Geschäft für Haushaltswaren prangte ein Schild „Clive’s House“, als wäre der britische Imperialist gerade erst gestern hier gewesen. Eine runde Plakette war exakter: Er war hier 1752 bei der Eroberung der Fürstentümer Südindiens abgestiegen. Ein dunkler Gang führte in den Hinterhof, der zu einem katholischen Waisenhaus in dem Gebäudekomplex gehörte.

Wer der Straße, eingezwängt zwischen dem Tempelteich und der Tempelfestung auf dem gewaltigen Granithügel, nach Norden folgt, findet eine weitere Überraschung: die anglikanische Christ Church. Sie ist eine kleine Festung in der Festung und wurde im 18. Jahrhundert von dem protestantischen deutschen Missionar Christian Schwartz gebaut. Er war vom König von Dänemark und den Einrichtungen von August Hermann Francke in Halle/Saale nach Südindien entsandt worden.
Mitten im Zentrum eines hinduistischen Stadtviertels erlaubte der Nawab von Thanjavur, dass Schwartz eine Kirche bauen durfte. Er hatte sich die Freundschaft des Fürsten erworben und ist bis heute eine in Südindien bekannte Figur. Andere Hallenser vor und nach ihm haben den Ruf der sozialen Einrichtungen der Kirchen in Südindien gefestigt.
Am schönsten ist diese Straßenzeile und das Viertel um das Rockfort abends. Dann mischen sich in das fahle Licht der Dämmerung die Rufe des Muezim einer Moschee und der Duft von Räucherstäbchen aus den Tempeln mit den Gesängen der Abendmesse durch die offene Tür der Our Lady of Lourdes-Kirche. Nirgendwo lassen sich solche Unterschiede so miteinander vereinen. Wer dann im Vasantha Bhavan noch einen Platz findet, sollte ihn nicht mehr aufgeben.
Incredible India 🇮🇳 !
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Absolut!
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