Darjeeling: Abwarten und Tee trinken

Ein … Gast sagte mir, dass der Gipfel des Kanchenjunga oft in den Wolken versteckt ist und dass ein Tourist manchmal 22 Tage gewartet hat und dann gezwungen war, wegzugehen, ohne ihn zu sehen. Und doch ging jener nicht enttäuscht: Denn als er seine Hotelrechnung bekam, erkannte er, dass er jetzt das Höchste des Himalaya vor sich sah. Aber das ist wahrscheinlich eine Lüge.“ Mark Twain: „Following the Equator“ Hartford, New York 1897

Wer die Wohnsitze der Götter von Darjeeling aus sehen möchte, der muss Geduld haben. Die meiste Zeit des Jahres (und des Tages) sind sie in Wolken verhüllt. Mark Twain war im Februrar 1896 auf seiner Weltreise für einige Tage in Darjeeling. Seine Anmerkung, wie lange der Tourist zuweilen für einen wolkenfreien Blick auf einen der höchsten Berge der Welt warten müsse, kann ich nur teilen. Aber man kann ja zwischendurch Tee trinken.

Eine Tasse Tee hoch über Darjeeling beruhigt
Der Autor dieses Blogs diskutiert mit dem Reiseleiter: wie vorgehen bei wolkenverhangenem Himmel?

In jedem Fall ist Darjeeling eines der schönsten Geographiewunder im Himalaya-Raum: Die Stadt samt ihrer Teegärten liegt nach Norden exponiert auf einem Sporn, in mehr als 2000 Meter Höhe. Die Gipfel der 8000er erstrecken sich wie ein Panorama vor dem Betrachter. Hier muss niemand Trekken oder Bergsteigen, von der Terrasse vieler gepflegter Hotels und Cafes lässt sich der unvergleichliche Blick auf die Himalaya-Gipfel ohne Anstrengung genießen. Ganz im Sinne von Mark Twain, der sogar auf einen Ausflug zum Tiger Hill verzichtete. Von dort hat man einen noch spektakuläreren Ausblick auf die Bergriesen. Aber warum dafür um 4 Uhr morgens aufstehen?

Bei meinem ersten Besuch in Darjeeling auf einer Backpacker-Tour mit einem guten Freund schrieb ich im September 1979 in mein Tagebuch: „Gestern Nachmittag schüttelten mich 39 Grad Fieber und ich war total geschwächt. Aber der Tag hatte so märchenhaft begonnen: Als ich um 6 Uhr aufwachte, sah ich durch beschlagene Fenster blauen Himmel. (Anm.: Es hatte die Tage zuvor fast immer geregnet). Ich hatte in der Nacht nur wenig geschlafen, zu viele den Vollmond anheulende Hunde. Aber wir sprangen aus dem Bett, Harald zuerst ans Flurfenster, dann aufs Dach. Atemlos kam er zurück, fast zitternd: „Willste ’nen Achttausender sehen?“ Tatsächlich, da war es, das gewaltige Massiv des Kanchenjunga; blauer Himmel, weißer Schnee. Wir machten in Eile einige Fotos.“

Der Blick am Morgen des 7.9.79 mit meinem Teleobjektiv

Wir rannten damals zu einem besseren Aussichtspunkt und machten weitere Fotos (ich hatte zuvor in Singapur ein 200 mm-Objektiv für meine Kamera gekauf). Um 8 Uhr stieg Nebel auf und wenig später verhüllten die Wolken den Berg wieder.

Heute, wo mein körperlicher Zustand kein Bergsteigen, aber gern wieder eine Tasse Tee auf einer Hotelterrasse erlauben würde, denke ich zurück an die vielen Reisen nach Darjeeling über die vergangenen Jahrzehnte. Die beste Jahreszeit ist der späte Oktober und der November. Dann hat der Monsun die Luft reingewaschen, der Himmel ist – wenn man Glück hat – makellos blau und das Panorama atemberaubend. Wenn nicht, muss man sich – so Mark Twain lakonisch – auf eine Hotelrechnung einstellen, die so hoch sein kann, wie der Himalaya: daher also einfach Abwarten und noch einen Tee bestellen.

Auch ein guter Aussichtspunk!