Monsun – Lebensader für 1,5 Milliarden

Jedes Jahr Anfang Juni blicken Hunderte Millionen auf dem indischen Subkontinent sorgenvoll in den Himmel. Denn inzwischen hat sich die Hitzewelle über viele Wochen aufgebaut. Boden, Pflanzen, Tiere und Menschen sehnen sich nach Regen. Er ist nicht nur eine Erlösung von der sengenden Hitze, sondern auch Lebensquelle für die Bauern zwischen Himalaya und der Südspitze des Subkontinents. Nirgendwo sonst auf der Welt sind so viele Menschen auf eine Regenzeit angewiesen wie zu Indiens Südwest-Monsun zwischen Juni und August. Das Kommen des Monsuns ist Thema in Zeitungen und Medien. Sein rechtzeitiges Einsetzen bestimmt die Erträge von Reis und Gemüse – und die Wirtschaft insgesamt. Obwohl Indien als Industrie- und Softwarezentrum „Make in India“ beworben wird, hängt seine Wirtschaft immer noch von der Landwirtschaft ab.

Monsunregen in Südasien waren Stoff für Reisegeschichten, Lieder (Rain Raga) und Gedichte. Er kommt mit Wind und Gewitter und fällt auf die verhärteten Böden und die verhungernden Bäume. Und er kommt so exakt, dass man seinen Kalender darauf einstellen kann: Der 1. Juni war immer der Tag, an dem die Wolken am Himmel aufstiegen, Blitze einsetzten und der Wind durch die Eukalyptusbäume rund um unser Haus in den Palni Hills brausten, wo wir in den frühen 1980ern lebten. Und dann fing es an zu regnen und so ging es tagelang weiter.

Monunschauer auf einem Busbahnhof in Tamil Nadu, Juli 2007

Im Muster der globalen atmosphärischen Zirkulation ist der Monsun, genauer: die Monsune, eine Besonderheit. Abgeleitet vom arabischen Wort mausim (Jahreszeit) werden sie als Windmuster definiert, welche ihre Richtung übers Jahr um mindestens 120 Grad ändern. In Südasien ändern sie die Richtung sogar um 180 Grad. Der Südwestmonsun zwischen Ende Mai und Anfang August bringt Feuchtigkeit und Regen aus dem Arabischen Meer an die Küste und ins Landesinnere im Westen des Subkontinents. Der Nordostmonsun tut es für die Ostküste zwischen Oktober und Anfang Dezember.

Die Karte oben zeigt die Jahressumme. Der Sommermonsun trägt zu einem großen Teil zu den jährlichen Niederschlägen in Indien und seinen Nachbarländern bei. Aber der Nordostmonsun ist lebenswichtig für den südlichen Bundesstaat Tamil Nadu und auch für den Nordosten Sri Lankas (die „Trockenzone“).

Die indischen Monsune. Quelle: Ernst Klett Verlag

Eine andere Möglichkeit, die saisonalen Gewinne und Defizite zu veranschaulichen, zeigen die beiden Klimadiagramme. Kochi an der Westküste (Malabar) hat seine größten Regenfälle im Juni und Juli, Pondicherry an der Ostküste (Coromandel) erhält den meisten Regen im Oktober und November. Aber man sollte nicht die Gesamtsummen übersehen: Kochi erhält im Laufe eines Jahres dreimal mehr Niederschlag als Pondicherry.

Der Niederschlag verteilt sich also ungleichmäßig über das Dreieck des Subkontinents. Während die Westküste, unterstützt durch die Barriere der West Ghats, im Regen versinkt, können diejenigen östlich der Ghats nur die Regenwolken in der Ferne beobachten. In den beiden Bundesstaaten Kerala und Tamil Nadu sind dadurch zwei unterschiedliche Natur- und Kulturlandschaften, wenn nicht gar Mentalitäten entstanden: Kerala kann es sich leisten, Wasser fließen zu lassen. Es erntet den Monsunregen für seine Stromerzeugung aus Wasserkraft. Regen und Flüsse liefern Bewässerung für die Reisernte und die reichhaltigen Sedimente in Flüssen, Lagunen und vor der Küste schaffen eine reiche Vielfalt an Fischen. Entlang der Küste bedecken Kokospalmen die endlosen Dörfer und Städte. Die Malabarküste ist eine der am dichtesten besiedelten Regionen auf diesem Planeten. Kein Wunder, dass Malayalees etwas entspannter sind. Abgesehen davon machen (und machten) die Gewürze, aber auch Tee und Kautschuk an den Hängen der Ghats diesen Küstenstreifen zu einem bevorzugten Ziel für Händler und Seefahrer. Kerala ist weltoffener als die meisten anderen Teile Indiens.

Im Gegensatz dazu Tamil Nadu. Das Land der Tamilen hängt von einer ausgeklügelten Kanalbewässerung aus Flüssen wie Vaigai und Kaveri ab. Sie gewinnen Wasser vom Rücken der Ghats, bevor sie an die Ostküste umdrehen. Das tamilische Land war gezwungen, Wassergewinnungstechniken und Bewässerungsmuster zu entwickeln, von denen oft gesagt wird, dass sie das ausgeklügelte „Nation Building“ verbessern. Das Erstellen, Teilen und Planen von Bewässerungswasser erfordert administrative und technische Fähigkeiten. Darin sind die Tamilen Meister. Man nehme das Kaveri-Delta und sehe selbst. Cheras, Pandyas und Cholas sind Namen berühmter Dynastien, die Südindien regierten und alles von der Herstellung von Bronzeskulpturen bis hin zum Bau prächtiger Tempeln beherrschten. Eines der Merkmale von Tamil Nadu ist das Tanksystem: halbmondförmige Dämme auf Roterde-Böden, die das knappe Regenwasser auffangen und zurückhalten. Noch heute zeigt Google Earth diese Technik aus dem All.

Aber die Flüsse von Tamil Nadu sind auf Zuflüsse angewiesen, die über ihre Grenzen hinaus generiert werden: Kerala selbst, aber noch mehr Karnataka, nutzen so viel wie möglich. Es gibt ein Wasserteilungsabkommen – und im Streitfall ein Kaveri-Tribunal mit der Zentralregierung in Delhi – aber wenn der Monsun schwach ist, verliert Tamil Nadu. Im Jahr 2016 war der Wintermonsun (Nordost) schwach und die Flüsse brachten nicht genügend Wasser. Die Kornkammer von Tamil Nadu und das kulturelle Kernland der Chola-Dynastie, das Kaveri-Delta, sind abhängig vom Flusswasser aus dem Karnataka-Plateau stromaufwärts. Ein ewiger Konflikt, nie genug Wasser. Bauern aus Zentral-Tamil Nadu protestierten kürzlich verzweifelt in Delhi und forderten die Regierung auf, einzugreifen. Sie bettelten buchstäblich um ihr Leben.

Wie jedes Jahr warten in diesen Junitagen 2022 Meteorologen, Politiker, Bauern und Millionen in Indien, Nepal, Bangladesch, Sri Lanka und Pakistan auf den Monsunregen, die Lebensader aller.

Weitere Quellen und Informationen:

Monsun auf Wikipedia

Good Monsoon 2017? Aljazeera.com, 15 June 2017

Monsoon 2017 early, THE HINDU online 16 May 2017

Rainfall deficit in monsoon season 2019, THE HINDU online, 16th June 2019 

Predicting the monsoon. The Hindu online, 30 June 2019

Chennai’s shrinking water supply. The Hindu online, 30 June 2019

3 Gedanken zu “Monsun – Lebensader für 1,5 Milliarden

  1. Tamil Nadu hat immer wieder Konflikte um Wasser mit Kerala und Karnataka. In Kerala führt der Stausee in Mullaperiyar zu Konflikten und mit Karnataka streitet sich Tamil Nadu ums Wasser des Cauvery-Flusses. Dies wird zukünftig wohl noch zu mehr Problemen und Streitigkeiten führen. Dieses und letztes Jahr haben wir in Tamil Nadu außergewöhnlich viele Niederschläge gehabt, aber 2019 war ein ganz schlimmeres Jahr. Hier in Chennai war das Grundwasser fast gänzlich aufgebraucht und Wasser wurde von umliegenden Seen in die Metropole gekarrt. Doch viele Probleme sind tatsächlich hausgemacht. Um Bauland zu gewinnen, wurden viele Seen trockengelegt und diese Auffang- und Speicherbecken fehlen während des Monsuns und führen immer wieder zu Überschwemmungen.

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