Philosophie in der Waschstraße

An der Zufahrt verweist ein Schild auf Christ Waschtechnik. Und wirklich, wie Täuflinge warten wir auf die Reinigung unseres Gefährts vom Pollen- und Blütenstaub des Monats Mai. Ich entrichte meinen Obulus für Programm 2 („Intensiv“) und denke nach, wie intensiv ich mich in diese Reinigung einfühle.

Foto: Maike Jacobj

Die Vorhalle schmückt ein überdimensionales Wandbild: Ein Wasserfall springt aus einem grünen Wald kaskadenartig dem Besucher entgegen Klar und rein ist das Wasser, wie in der Werbung für das Bier mit Felsquellwasser. Dazu spielt der Klassikkanal meines Autoradios „This Majestic Land“. Nach Reinheit strebt mein Herz – und mein Auto.

Fleißige Hände besprühen es jetzt mit weißem Schaum. Aus dem Schaum geboren war in der Antike Aphrodite. Vielleicht wird mein Auto jetzt zu einer Liebesgöttin, geliebt wird es in jedem Fall. Aber gibt es das Gefühl zurück?

Ein junger Mann weist mich mit Handbewegungen in Richtung Bürsten ein. Dann ergreift eine unsichtbare Kraft mein Gefährt und zieht es auf jenen Hades zu, in dem sich rotierende Bürsten drohend nähern. Im Radio erwarte ich eine Wagner-Overtüre, aber es spielt nur eine Haydn-Sinfonie. Senkrecht und waagerecht nehmen die Bürsten mein Gefährt in Beschlag, während es sich geduldig unter ihnen durchziehen lässt. Ab und zu tauchen bunte Lichterketten in der Dämmerung auf.

Eine ganze Serie von Glanzmittel und Wachs überzieht die Karosserie. Tanzende Lappen verteilen alles in jeden Winkel. Sie scheinen teuflischen Spaß dabei zu haben. Und dann bewegen wir uns langsam auf eine querliegende Sperre zu. Sie bildet die letzte Hürde vor dem Ende. „Bitte nicht bremsen, das Gebläse hebt sich selbstständig“ – man ahnt die Panik, wenn dieses tosende Etwas sich der Windschutzscheibe nähert.

Aber es geht gut, der Luftzug vertreibt die letzten Tropfen und sobald eine Ampel auf Grün schaltet, hat mich mein Leben wieder. Das Gefährt glänzt im Sonnenlicht, die Scheiben sind klar – ein Neubeginn. wie im wahren Leben.

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