Seit einigen Monaten habe ich morgens beim Browsen der Headlines das Gefühl: Hier war ich doch schon mal.
Zum Beispiel: Aufrüstung und Krieg. Waffen sind in. Frieden schaffen ohne Waffen, so 1980ies. Ich las heute auf der Webseite (m)eines Internet-Providers einen Beitrag darüber, dass abgeleisteter Wehrdienst in den Redaktionen (und wohl auch in der Politik) heute als Beleg für militärische Kompetenz gilt, um bei Verteidigungsfragen mitreden zu können.
Mein Dienst ist fast 50 Jahre her. Er bestand aus dem damals 15-monatigen Grundwehrdienst, lange vor Maskenpflicht gab es Wehrpflicht. Alternativ gab es Zivildienst, für den ich mich nicht geeignet fühlte. Dass ich ausgerechnet in einer Panzerjäger-Kompagnie landete, ich denke ich könnte mich heute für die Chefredaktion der Süddeutschen bewerben oder wäre gefragter Experte bei Bild TV. Mist, damit konnte keiner rechnen.
Ich war in der Einheit zuständig für Logistik in der Instandhaltung jener Panzer, auch für deren Raketensysteme. Sollte ich mich in der Ukraine melden und vorher dafür Bild TV anrufen?
Zwar gab es in der BW immer begeisterte Militaristen, aber solche Ideologen waren auch in einer Kampfeinheit die Ausnahme. Wir wurden im Grundgesetz ausgebildet, ja sogar die Fälle von berechtigter Befehlsverweigerung wurde uns als „Bürger in Uniform“ ausführlich erläutert. Chapeau! In einem Panzer zum Scharfschießen in der Lüneburger Heide rumzufahren war eher beklemmend, denn begeisternd. Was zählte war Kameradschaft über soziale und Bildungsgrenzen hinweg: Ich, der „oberschlaue“ (kein Schimpfwort) Abiturient, war auf die Zusammenarbeit mit Panzerschützen und den Mechanikern in der Werkstatt angewiesen – und umgekehrt.
Nähme ich die derzeitige mediale Militarisierung Ernst – gesteuert über Kollegen (das -innen kann ich mir hier sparen), die noch nie in einem solchen Grab auf Kettenlaufwerken unterwegs waren – meine Seele wäre dort wieder angekommen, wo einst der Weg meines Erwachsenwerdens begann.
Zum Glück hat sie einen anderen Weg genommen. Sie wurde flügge und zog in die Welt. Wäre ich Hindu, dann könnte das als Befreiung aus dem unsäglichen Kreislauf gelten. Meine Seele will nicht das Ganze im Panzer von vorne beginnen. Ihr größter Gegner: der politische Verstand, der sagt, gegen einen lupenreinen Faschismus hilft Beten und Yoga nur begrenzt. Meine arme Seele!
„Russisches Kriegsschiff, Fick dich!“ SPIEGEL online, 20. April 2022
Danke, schöner Beitrag. Ich habe in den frühen 90-ern den Dienst an der Waffe verweigert, da war auch formal nicht mehr so schwer, wie früher. Aber ich hätte Zivi machen müssen oder KatSchutz, gestreckt über damals noch 8 (?) Jahre. Habe letzteres gemacht, würde ich vielleicht heute anders machen, aber es war eine Entscheidung.
Ich empfand das als „Last“, als „Hindernis“ für die Karriere. Heute fänd ich das gut, wenn sich Jungs und Mädels da mal auf Zeit umschauen. Muss nicht an der Waffe sein, aber es gibt ja genügend andere wertvolle Tätigkeiten „drumherum“
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