An unserer Siedlung fährt halbstündlich ein kleines Bähnchen entlang – meist ist es leer. Bei einem Spaziergang neulich fragte ich mich, ob ich per Bahn von hier bis Calcutta fahren könnte?

Die Frage hat einen praktischen und einen nostalgischen Grund: Könnte man ohne zu fliegen (und ohne die Transsib zu nehmen) derzeit nach Südasien reisen? Und nostalgisch ist die Frage (was bleibt einem in diesen Zeiten?), weil ich im Sommer 1977 mit zwei Freunden tatsächlich die gesamte Strecke über Land von Aachen nach Calcutta gefahren bin – neben weiten Strecken im Zug auch per Fähre (Adria/Ägäis) und Bus (Westtürkei und Afghanistan).

Als Interrailer der ersten Stunde war ich immer ein Bahnfan, ganz ohne ökologischen Hintergedanken. Bahnfahren hat eine eigene Romantik, Nächte im Zug, Ansagen an Bahnsteigen in welcher Sprache auch immer, und viele Begegnungen und Gespräche im Abteil.
Ich habe ein wenig gegoogelt, und siehe da: Es geht, lückenlos! Es beginnt mit bahn.de von Wolfenbüttel über Braunschweig nach München und weiter nach Wien. Die österreichische Hauptstadt hat Verbindungen über Ungarn nach Bucharest, von dort verbindet der Bosphor-Express die rumänische Hauptstadt mit Istanbul. Die beiden legendären Bahnhöfe, Sirkeci auf der europäischen und Haydarpasha auf der asiatischen Seite, werden nicht mehr bedient. Dafür unterquert die Bahn den Bosporus in einem Tunnel.

In fünfeinhalb Stunden verbindet ein Hochgeschwindigkeitszug die Metropole am Bosporus mit der Hauptstadt Ankara.

Zweimal pro Woche fährt von dort der Transasia-Express die 2500 km über den Van Gölu (Eisenbahnfähre) und Täbriz nach Teheran (Ankuft ca. 60 Stunden später).
Das Bahnnetz im Iran ist seit unserer Reise 1977 gewaltig ausgebaut worden. Eine Bahnlinie verbindet Teheran mit dem äußersten Südosten des Landes, Endpunkt ist die Stadt Zahedan. Die hat Anschluss an das Bahnnetz des gesamten Subkontinents. Seit vergangenem Jahr verkehren Güterzüge von Islamabad über Quetta und Zahedan mach Teheran und Istanbul (in 11 Tagen). Der Personenzug braucht 33 Stunden für die Fahrt durch Belutschistan.
Dann geht es wieder flotter weiter, zum Beispiel mit dem Jaffar Express der Pakistan Railways, der Quetta in 24 Stunden mit der Großstadt Lahore verbindet. Die beiden Metropolen des Punjab (pakistanisch und indisch) sind zwar per Bahn verbunden (über Attari Road und Wagah), aber die Zugverbindungen werden aus politischen Gründen häufig unterbrochen (die Pandemie hat zudem nahezu alle Überland-Reisen ausgesetzt).
Von Amritsar aus aber ist man mit dem gewaltigen indischen Bahnnetz verknüpft und kann von dort nach Assam oder an das Südkap fahren. Mit Calcutta ist der Punjab über den Amritsar-Howrah Mail verbunden. Den Zug gibt es unter diesem Namen seit 1884!

Und nimmt man die Pläne der chinesischen Belt & Road-Initiative hinzu, dann wird es sogar Schienen über/durch den Himalaya geben, nach Tibet und Yunnan. Von dort sind Myanmar, Thailand, Malaysia, Singapur oder Vietnam angebunden.
Man kann also träumen, wenn man das Bähnchen zwischen Wolfenbüttel und Schöppenstedt vorbei ziehen sieht. Wäre ich 40 Jahre jünger, ich würde es nochmals wagen, von hier nach Calcutta oder Singapur per Bahn zu fahren.
Einige Links zu meinen Recherchen im Internet:
Bucharest – Istanbul Bosphor Express 19 Stunden 940 km
Ankara- Teheran Transasia Express (via Kayseri, Van, Tabriz) 59 Stunden 2394 km
Teheran – Zahedan 22 Stunden 1658 km
Zahedan (Iran) – Quetta (Pakistan) 33 Stunden
Quetta – Lahore Jaffar Express 24 Stunden
Weitere Berichte und Infos:
Islamabad-Teheran-Istanbul trains enters Iran. Tehran Times online, 271.12.2021
Epic train journey from Iran to Pakistan. Blog „Kathmandu & beyond“, 27.11.2015