Next Stop Vilnius?

Am Nordufer der Neris zeigt Vilnius seine moderne Seite: eine Skyline aus Glasfassaden internationaler Hotelketten und Shopping Malls. Auf der Gegenseite aber liegt die Altstadt, ein Juwel an Barockarchitektur. Geschätzte zwei Dutzend Kirchen auf einem Quadratkilometer fanden wir bei unserem Rundgang durch die Altstadt im Juli 2020.

Turm der Stanislaus-Kathedrale (Aufnnahme Nov. 2011)

Am Ostende des Gedimino Boulevard trifft der Spaziergänger auf die Stanislaus-Kathedrale und von dort ist er flugs auf dem Kopfsteinpflaster der Altstadt unterwegs. Am Boulevard gibt es Gedenktafeln für den Widerstand gegen die Besatzer nach dem Ende des Weltkrieges. Mehr zu sehen zur Geschichte Litauens ist in den Museen jenseits der Kathedrale und im Gediminas-Turm, oben auf einem Hügel. In einer Ausstellung, die ich dort im November 2011 besuchte, spielte die friedliche Revolution und Befreiung im Jahr 1991 eine zentrale Rolle.

Auf dem Platz vor der Kathedrale steht ein Denkmal des Großfürsten Gediminas, mit dem der Aufstieg Litauens zur Großmacht im 14. Jahrhundert verbunden ist.

Kleine Läden, Cafes, Studentenkneipen und eben Kirchen wechseln in den Gassen der Altstadt einander ab. In eine der Kirchen stolpern wir mittags hinein, es ist gerade Gottesdienst. Die Kirche ist fast voll, auf der anderen Seite der schmalen Altstadtstraße gehen Bauarbeiter ihrer Tätigkeit bei der Renovierung eines alten Gebäudes nach: sozusagen Beten und Arbeiten.

Gedimino pr. im November 2011

Wie zuvor schon in Riga zeigt man in Vilnius die EU-Verbundenheit über die Flagge mit dem Sternenkranz vor allen öffentlichen Gebäuden. Auch hier ist der Euro Landeswährung. Diese Einbindung, die 2004 mit EU- und Nato-Beitritt besiegelt wurde, gibt Litauen und seinen baltischen Nachbarn heute die Gewissheit, gegen Revisionismus des östlichen Nachbarn abgesichert zu sein.

Litauen ist der katholische der baltischen Drillinge. Auf dem Weg von Klaipeda nach Vilnius fuhren wir an einer langen Pilgerprozession mit Kreuz- und Fahnenträgern entlang, ein Bild, das in Europa selten geworden ist. Mitten im nasskalten Novemberwetter 2011, bei meinem ersten Besuch in Vilnius, versammelten sich vor dem Tor der Morgenröte Menschen zum Gebet: Im Torbogen gibt es eine Figur der „Mater Misericordia„.

Jede der baltischen Republiken hat ihre eigene historische Identität. Aber sie eint eine Geschichte, die einerseits von engen Bindungen an Mittel- und Nordeuropa geprägt ist, andererseits aber auch die Erfahrung von brutaler Besatzung durch rücksichtslose Großmächte (Nazideutschland und die Sowjetunion) mit einbringt.

Ihr Beitritt und ihre enthusiastische Einbindung in „unsere“ Wirtschafts- und Wertegemeinschaft – ich weiß, wie hohl das zuweilen klingt – ist für die baltischen Staaten tatsächlich eine historische Leistung. Diese bedrohte Niemanden, aber sie jetzt nach Außen verteidigen zu müssen, das ist heute vorstellbar. Bis zum Angriff auf die Ukraine war dies kaum ein Thema, jetzt ist es plötzlich eins.