Von Goslar nach Canossa

Das Schreiben aus Rom war schon zu Weihnachten angekündigt, es erreichte ihn schließlich in der Residenz an seinem Geburtsort Goslar. Heinrich IV. feierte in der Kaiserpfalz im Frühsommer 1076 gerade einen Sieg über die aufständigen Sachsen (ja, schon wieder die Sachsen). Der Brief vom Papst hatte es in sich: Der König des Heiligen Römischen Reiches, immerhin von Gottes Gnaden, wurde mit Acht und Bann belegt, exkommuniziert. Der noch nicht ganz 26-Jährige hatte es gewagt, ohne Rücksprache mit Rom Bischöfe und Äbte zu ernennen. Mit dieser cancel culture-Aktion des Papstes sagten sich auch alle noch verbliebenen Verbündeten im Reich von ihm ab, denen gleichfalls Acht und Bann drohte. So viel war im Spätsomer 1076 klar. Zudem hatte der Papst noch eine Frist bis Februrar 1077 gesetzt.

Heinrich, knieend und um Vermittlung beim Papst bittend (Repro, Wintersaal Kaiserpfalz Goslar)

Was im Winter 1076/1077 folgte, wurde zu einem geflügelten Wort: Der Gang nach Canossa. Die Szene, wie ein deutscher König sich mit Familie im Winter mit erzwungenem Umweg über die Alpen quälend, im Büßergewand auf einer Burg in der Emilia-Romagna vor dem Papst niederwirft und schließlich vom Bann gelöst wird, hat über Jahrhunderte die Phantasie und politische Ideologie beflügelt. War es für den jungen Salier eine Demütigung oder doch ein kluger Schachzug, um sich aus der doppelten Schlinge zu befreien, die durch die Kirche und den Widerstand der weltlichen Rivalen im Reich? Wie auch immer man dies interpretiert, Tatsache ist, dass Heinrich bis zu seinem Tod um die Machtbefugnisse eines deutschen Königs kämpfen musste. Seine Kaiserkrönung 1084 in Rom wurde von einem Gegenpapst (und in der von ihm besetzten Stadt) durchgeführt, da war er gerade 34 Jahre alt.

Für das von seinem Vater Heinrich III. so geliebte Goslar blieb jetzt keine Zeit mehr, er ließ Dome in Worms und Speyer bauen. Der Oberrhein war das Stammland seiner Familie. Aber Goslar war und blieb Sitz der Zentralbank des Reiches, das sonst keine „Hauptstadt“ kannte. Die Herrscher zogen von Pfalz zu Pfalz, allenfalls Aachen hatte eine dauerhafte zeremonielle Bedeutung.

Der Kampf zwischen Papsttum und Kaiser erhielt im Preußen des 19. Jahrhunderts wieder symbolische Bedeutung, daher zieren zwei Reiterstandbilder den Pfalzvorplatz: Wilhelm I. und Barbarossa.

Im Untergeschoss der Pfalz, dem sogenannten Wintersaal, sind die Baugeschichte und der historische Kontext dokumentiert. An dem eiskalten Sonntag im März war die Pfalz gut geheizt. Nur der Ausflug in die benachbarte Ulrichskapelle war eine Übung in Kältegrade. Eine steile Wendeltreppe führte vom Kaisersaal hinunter zum Grab Heinrichs III., dem Vater von Heinrich IV. und Baumeister der Pfalz. Genau genommen liegen hier nur Herz und Eingeweide, die Grabeskirche der Salier ist der Dom zu Speyer.

Grab Heinrichs III. in der Ulrichskapelle der Kaiserpfalz.

Auf dem Weg kamen uns chinesische und dänische Touristen entgegen, Goslar ist ein Magnet für alle Deutschlandtouren.

Wer ginge in diesen Zeiten symbolisch nach Canossa? Wer sucht Kompromisse und ist der Klügere? Wer verzichtet dafür auf Blutvergießen und Rache? Wer gleicht Interessengegensätze aus? Vor knapp 1000 Jahren waren das keine anderen Fragen als heute. Aber was sagt das über historischen Fortschritt aus? Wenig, fürchte ich.