86 Kilometer bis Kaliningrad

Immanuel Kant wäre heute Bürger der Russischen Föderation. Was hätte er seiner Regierung zu sagen? „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Das Recht des Stärkeren, das Recht, mit dem Mittel eines brutalen Krieges Ziele zu erreichen gehörte nicht zu Kants Vorstellung. Er lebte im Königsberg des 18. Jahrhunderts, sähe sich heute aber wohl eher ins Jahr 1618 ff. versetzt – vor der Westphalian order, wie Henry Kissinger die Staatenordnung seit dem Westfälischen Frieden nennt. Auch Hannah Arendt, die in Königsberg ihre Schulzeit bis zum Abitur verbrachte, hätte zum Thema Totalitarismus einiges zusagen.

Im Sommer 2020 waren wir von Klaipeda auf der Kurischen Nehrung unterwegs, bis nach Nida. Gern wären wir zum Nachmittag noch nach Kaliningrad gefahren, aber die Grenze war und ist geschlossen. Wir hatten eine Fähre von Klaipeda zur Überfahrt über das Nordende des Haffs auf die langgestreckte und zum Großteil bewaldete Düne genutzt. Es war ein regnerischer Julitag, aber in Litauen waren Sommerferien und viele Familien unterwegs an die Strände.

Die Grenze zur Oblast Kaliningrad liegt gleich hinter Nida. Der Ferienort am Kurischen Haff war voller Gäste, ideal für Wanderer und Fahrradausflüge. Auf einer Anhöhe am Rand des Ortes liegt das einstige Ferienhaus der Familie von Thomas Mann. Es ist heute ein kleines Museum und liegt in einer liebevoll gepflegten Anlage. Die Manns verbrachten hier von 1929 bis zum Exil 1932 ihre Sommer, das Haus hatte er zum Teil mit Geldern aus dem Literaturnobelpreis finanziert. Es wurde 1933 von den Nazis konfisziert.

Halbe Strecke des Weges von Klaipeda liegt das Nagliai-Naturreservat. Vom Parkplatz an der Hauptstraße kann man einen vorgegebenen Weg auf den Kamm der Düne wandern. Von dort hat man einen Rundblick über das Haff. Ebenfalls zu beobachten sind Schutzmaßnahmen, um das Weiterwandern der Sanddüne zu stoppen. Sie hat schon jede Menge Dörfer der Nehrung unter sich begraben.

Am Nachmittag kam die Sonne raus. Der Strand von Nida war fast menschenleer. Welches Potential hätte die Region um das Kurische Haff zwischen Klaipeda und Kaliningrad. Wie schrieb Kant einst, was bis heute für uns alle gültig bleibt:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Strand von Nida, Kurische Nehrung (Litauen)