Die Frage gab ich in eine Suchmaschine ein. Die Antwort war – logisch – Unvernunft.
Es gibt sogar eine Webseite (gegenteile.net), welche einige Synonyme von Vernunft und Unvernunft gegenüber stellt:
Vernunft | Unvernunft |
Verstand | Irrationalität |
Einsicht | Intuition |
Logik | Unverständnis |
Räson | Intoleranz |
Aussagen immer wieder zu hinterfragen und Kritik als Prinzip der Wahrheitsfindung anzuerkennen, darauf können sich dieser Tage die meisten einigen. Übrigens, nichts anderes ist wissenschaftliches Vorgehen. Hypothese, These, Antithese – und das Spiel beginnt von vorne. Langsam aber sicher nähern wir uns so (vorläufig) verbindlichen und von Einsicht getragenen Aussagen.
Wir, die Öffentlichkeit, die Laien, sind in der Pandemie Zeuge eines wissenschaftlichen Prozesses im „Livestream“: Vor unseren Augen formulieren Wissenschaftler Hypothesen, sammeln empirische Daten und entwickeln daraus ihre These, die dann von Gegenthesen hinterfragt wird. Woher kommt das Virus? Ist es wirklich gefährlich? Können schnell entwickelte Impfungen eher schaden als nützen?
All dies geschieht an Forschungsinstituten der Universitäten und Hochschulen tagein tagaus. Das Forum dazu sind Kongresse und peer reviewed Journale, die eine wissenschaftsinterne Öffentlichkeit herstellen und den Prozess der Faktenfindung in Gang halten.
Beim Coronavirus und der von ihm ausgelösten Pandemie aber müssen Politik und Gesellschaft Gegenmaßnahmen ergreifen, während Wissenschaft noch nach Erklärungen und Lösungen sucht – und sich zugleich in öffentlichen Medien tagtäglich äußert. Das ist verwirrend, öffnet es doch die Pandorrakiste von vorläufigen, sich dauernd ändernden und oft widersprechenden Informationen. Im Wissenschaftsprozess ist das nicht ungewöhnlich, in einer überforderten Öffentlichkeit aber fatal. Denn aus diesem Prozess kann sich jede Gruppe (und jede politische Partei) aussuchen, was am besten passt.
So kommt es zu einem Wirrwarr an Wahrheiten, Maßnahmen, Verordnungen, die wiederum weiter verunsichern, statt Einsicht und Räson zu fördern. Im Ergebnis stehen wir vor einem Vertrauensverlust in Wissenschaft und Politik gleichermaßen – mit dem bekannten Eregbnis.
Wie kommen wir aus dieser „Anarchie“ bei der Wahrheitsfindung wieder heraus?
Kurzfristig überhaupt nicht, dazu ist die Anarchie viel zu nützlich für Populisten und Aufwiegler. Soziale Medien bieten außerdem eine alternative „Öffentlichkeit“, die es so zuvor in der Breitenwirkung nicht gab. Ein Dutzend Virologen, ein Dutzend Meinungen, ein Dutzend Kommissionen, ein Dutzend Empfehlungen. Dazu Medien, die es gewohnt sind, Kontroversen zu beleuchten und auszuschlachten, mit Clicks oder Anzeigenumsatz. „Zoff sells“ habe ich in meiner journalistischen Ausbildung gelernt.
Vertrauen in Institutionen und Prozesse, das einmal zerstört ist, kann langfristig nur durch gute Bildungspolitik und Aufklärung wieder hergestellt werden. Im Übrigen: Es war die Aufklärung, von Descartes bis Hannah Arendt, die uns von Dogma, Aberglauben und Irrationalität befreit hat. „Cogito ergo sum“ heißt nicht „Ich denke anders“, sondern: „Ich denke nach, wäge ab und entscheide mich vernünftig.“
