Klimawandel, (m)eine kurze Geschichte

Meine erste Begegnung mit dem Klimawandel war kurz nachdem er in der Öffentlichkeit für Schlagzeilen sorgte: bei meiner Tätigkeit für die UN in Bangladesh Ende der 1980er Jahre.

Im Juni 1988 stand der NASA-Klimaexperte Dr. James Hansen einem US-Senatskommittee Rede und Antwort. Er beschrieb in aller Deutlichkeit die Belege für eine globale Erwärmung, die durch vermehrten CO2-Ausstoß verursacht wird. Der Bericht schlug ein wie eine Bombe.

Dass eine solche globale Erwärmung katastrophale Folgen für den Planeten hat, ist zu Ende des Jahres 2021 unbestritten. Meist wird von „Klimawandel“ gesprochen, um alle möglichen Veränderungen des Klimas zusammenzufassen, die sich aus der Erwärmung des Planeten ergeben: Dürren hier und Überschwemmungen dort.

Aber im Sommer 1988 standen andere Themen im Vordergrund: Gorbatschows Reformen in der UdSSR und die Auswirkungen auf den Ost-West-Konflikt zum Beispiel. Die Medienwelt war übersichtlich, private Fernsehanstalten noch in Kinderschuhen und das Internet nicht existent (nicht einmal das Fax!).

Ich war seit Oktober 1987 für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen in Dhaka tätig. Ende August 1988 flog ich mit meiner Familie nach einem Sommerurlaub in Deutschland zurück nach Bangladesh. Wir landeten in einem sonnigen, wenngleich schwül-heißen Dhaka. Der Monsun war vorbei, die Landschaft aus Reisfeldern mit vielen kleinen Dörfern stand in frischem Grün.

Am Flussufer südwestlich von Dhaka (1988)

Für die Kinder begann die Schule, meine Frau arbeitete ebenfalls dort. Ich nahm in unserem Büro in der Innenstadt die Arbeit wieder auf, mit Arbeitskollegen aus Bangladesh, Japan und den USA. Unsere Projekte mussten immer wieder überprüft und evaluiert werden.

In den englischsprachigen Tageszeitungen Bangladeshs erschienen in den Tagen nach unserer Rückkehr kurze Berichte über Hochwasser in den nördlichen Landesteilen, nichts ungewöhnliches im Grunde. Aber die Berichte wurden häufiger und kamen aus allen Landesteilen entlang der großen Flüsse Ganges (Padma) und Brahmanputra (genannt Yamuna in Bangladesh). Das Territorium des Landes mit damals über 100 Millionen Einwohnern umfasst das Delta dieser Riesenströme, zu denen noch das Meghna-System hinzu kommt, mit Wasser aus dem Bergland von Meghalaya.

Selbst Dhaka ist umgeben von Wasserflächen. Es liegt an einem Seitenarm des Yamuna und rund um die Stadt zwängen sich die Siedlungen zwischen Teiche und Flussauen. So auch die Vorstadt, in der wir ein kleines Haus gemietet hatten. Mir fiel auf dem Weg ins Büro auf, dass die Wasserflächen immer größer wurden, ungewöhnlich unter blauem Himmel und ohne dass es geregnet hätte. Schließlich war sogar unser Stadtteil von dem abgetrennt, in dem die Schule der Kinder und die Botschaften lagen.

Jetzt zeigte das nationale Fernsehen abends Bilder eines nahezu komplett überschwemmten Landes. Menschen lebten auf Bäumen und Dächern, wo es möglich war flüchteten sie auf Straßendämme. Die Landebahn des Flughafens stand unter Wasser, ebenso die Innenstadt und das Geschäftszentrum von Dhaka.

Hochwasser gehört im Deltaland Bangladesh zu einem jährlich wiederkehrenden Phänomen, die Leute sind daran gewohnt. Das Wasser bringt fruchtbare Sedimente über die Felder, ideal für das Auspflanzen des Hauptnahrungsmittels Reis. Aber die Überschwemmungen des Spätsommers 1988 waren ohne Beispiel. Zwei Drittel Bangladeshs standen unter Wasser, zehner Millionen Menschen obdachlos.

Nach einer Woche flog die Regierung von Calcutta aus die internationale Presse ein. Die Bilder eines unter Wasser stehenden, dicht besiedelten Landes gingen um die Welt und belegten – so die mediale Darstellung – wie richtig die Aussagen von Hansen vor dem US-Kongress waren. Nach drei Wochen waren die Wassermassen verschwunden, die Schäden an der Infrastruktur immens. Aber wundersamer Weise kamen bei fast 50 Millionen Obdachlosen wohl nur rund 3000 Menschen ums Leben, viele durch Schlangenbisse.

Das überproportionale Ausmaß der Flut von 1988 ist auch an einem Marker am Mittellauf des Brahmaputra im indischen Assam erkennbar: Ich fand ihn beim Besuch des Kaziranga-Nationalparks. Spätere Analysen ergaben, dass als zusätzlicher Faktor der gleichzeitig ins Territorium von Bangladesh eintretende Flutscheitel der Flüsse eine Rolle spielte (eine statistisch gesehen Anomalität, da die monsunalen Niederschlagsspitzen regional zeitlich verzögert auftreten). Aber mit dem Ereignis im September war das Thema „Klimawandel“ in aller Munde und Bangladesh ein Beleg für die Vulnerabilität vieler Regionen der Erde.

Flutmarker im Kaziranga-Nationalpark (Assam)

Die Vereinten Nationen koordinierten die Katastrophenhilfe, aber viel war nicht zu tun, da alle Verkehrswege von Dhaka in den Rest des Landes abgeschnitten waren. Die Menschen waren auf sich gestellt.

Und hier tauchte zum ersten Mal in meinem Wortschatz der Begriff „Resilienz“ (Widerstandsfähigkeit) auf. Vermutlich nur wenige Länder der Erde haben Bedingungen, die eine Bevölkerung zwingen, sich Naturkatastrophen anzupassen. Auch ohne den Klimawandel zu bemühen, sind Bengalis mit einer erratischen Natur konfrontiert. Zu den Überschwemmungen kommen noch die berüchtigten Bengalen-Zyklone.

Die UN schickte uns Anfang Oktober übers Land, um Schäden und Folgen qualitativ zu erfassen. Die Leute hatten schon begonnen, Dämme und Straßen zu reparieren. Dörfler zeigten uns, wie hoch das Wasser ihre schlichten Behausungen heimgesucht hatte.

Meine Bewunderung für die Menschen wuchs. Die physische und psychische Widerstandsfähigkeit war immens. Es gab keine Epidemien, wie zu erwarten gewesen wäre. Sie hatten weniger unser Mitleid, vielmehr unsere Anerkennung verdient. Wir können ihnen helfen, besser vorbereitet zu sein (durch Satelliten basierte Vorhersagen zum Beispiel). Aber wie eh und je sind die Menschen auf sich gestellt.

Bangladesh eignet sich meiner Meinung nach auch nicht, um unser Gewissen zu globalen Umwelt- und Klimaveränderungen wach zu rütteln. Im Gegenteil, wir könnten eher lernen, wie eine Gesellschaft unter der Bedrohung durch unberechenbare Natur überlebt.

Die Folgen der Erderwärmung finden eben auch bei uns statt, nicht nur in weit entfernten exotischen Ländern. Und wir sind nicht vorbereitet, wie die Ereignisse im Ahrtal und der Nordeifel im Juli 2021 gezeigt haben. Wir müssen uns bei steigendem Meeresspiegel um Hamburg und Rotterdam sorgen. Unsere (Fichten)Wälder sterben bereits als Folge von Trockenheit. Wir wissen das seit über 30 Jahren und haben fast nichts gelernt. Bangladesh kann uns dabei nicht helfen.

Die Öffentlichkeit bei uns wurde durch die Olympiade in Seoul abgelenkt, aber die Fallstudie Bangladesh schaffte es in die Geographie-Lehrpläne einiger deutscher Bundesländer. Immerhin ein Beitrag dazu, dass Bewusstsein für die Facetten des Klimawandels bei einer jungen Generation geschaffen wurde. Vielleicht sitzen einige davon im neuen Bundestag.