Vorige Woche lag der Katalog einer Aachener Printenbäckerei im Postkasten. Erinnerungen an meine Studienjahre in jener Stadt kamen zurück. Als 19-Jähriger zog ich 1974 zum ersten Semester im Fach Maschinenbau in die Stadt Karls des Großen. Auch wenn sich meine Berufspläne später änderten, noch heute würde ich Aachen mit fast jeder anderen Stadt tauschen.

Aachen ist die Stadt der RWTH, der Kaderschmiede von Technikern und Ingenieuren. Später traf ich Absolventen aus Aachen in Teheran oder Damaskus. Mitte der 70er Jahre begann auch der städtebauliche Umbruch Aachens, zunächst zwischen Templergraben und Markt entlang der Pontstraße.

Über sie führte mein Weg von der WG-Wohnung jenseits des Alexianergrabens quer durch die Altstadt zu den Seminargebäuden der RWTH. Wenn ich am Dom entlang lief und den Markt mit dem Rathaus auf den Fundamenten der Kaiserpfalz Karls des Großen rechts liegen ließ, war mir der Gedanke an „Technische Zeichnung I“ oder „Thermodynamik“ näher, als die historische Bedeutung Aachens. Dabei führte selbst die Uni das Siegelzeichen Karls des Großen im Logo.

Studentenkneipe gegenüber meiner Wohnung, fast 50 Jahre später Domhof
Erst mit dem Studium der Geschichte weitete sich mein Blick auf die historische Bedeutung Aachens, für das Heilige Römische Reich und für Europa heute. Auf halber Strecke zwischen Paris und Berlin und am Dreiländereck mit den Niederlanden und Belgien steht Aachen für europäische Verbundenheit wie keine andere Stadt in Deutschland.
Dem Karolinger lag tatsächlich an dieser Schnittstelle von Ost und West, plante er doch die unbotmäßigen Sachsen (alles östlich von Paderborn) ins christliche Abendland einzugliedern. Das Oktogon des Domes war im 9. Jahrhundert ein Weltwunder, die heißen Quellen in der Nähe boten zudem römische Lebensqualität. Karl war eben nicht nur politisch weitsichtig. Sein Thron und sein Schrein blieben das ganze Mittelalter Kristallisationspunkt kaiserlicher Macht. Man wäre gern am 7. August 936 hier gewesen.
„Die fränkische und sächsische Nation wählten einmüthig Otto zu ihrem Beherrscher. Sie beratschlagten über den Ort der Wahl und bestimmten die Pfalzstadt Aachen dazu. Sobald man hier versammelt war, verfügten sich die Herzöge und vornehmsten Befehlshaber, neben den übrigen Fürsten und Rittern, in eine Kapelle, die mit der von Karl dem Großen erbauten Hauptkirche zusammen hängt, und setzten ihren neuen Beherrscher auf den daselbst errichteten Thron, gelobten ihm Gehorsam und Treue, versprachen ihm ihren Beistand gegen alle seine Feinde und machten ihn auf diese hergebrachte Weise zu ihrem König.“
So beschreibt Widukind von Corvey das Prozedere bei der Krönung Ottos I. Ihm folgte der kirchliche Segen und die Übergabe der Herrschaftsinsignien im Dom. Zwar verlagerte sich die Macht von Aachen an die Elbe, aber die Symbolkraft der Stadt bleibt bis heute.
Aachen war für uns Studierende ein Eldorado. Die Lebensqualität und das kulturelle Angebot machten die Stadt zu einer Welt für sich, ich konnte mit 550 DM Bafög monatlich sogar ganz gut leben. Dabei blieben natürlich etwa die Spielbank, der Karlspreis, ein Orden wider den tierischen Ernst oder Springreiten einem anderen Universum vorbehalten. Immerhin Karneval und die Qual der Wahl zwischen Kölsch und Alt betraf auch die Studenten.
Eigentlich bot all das gute Voraussetzungen für einen Aachener, zudem mit der Loyalität einer großen Volkspartei, neuer Herrscher in Berlin zu werden. Gekrönt worden wäre er gern, aber gewählt von den Bürgern des Reiches wurde er dann doch nicht. So bleibt ihm der Rückzug nach Aachen. Mit dieser Option würde ich gleich heute tauschen.