
Als der Chor das letzte Klagelied beendet hat, steht die Sonne schon schräg über den Bergen von Galiläa. Ihre Strahlen scheinen durch die Kulisse auf die Ränge des Theaters hoch oben am Hang. Ein Geschäftspartner hier in Gadara hat uns zwei Tickets für „Elektra“ besorgt, aufgeführt von einer Theatergruppe aus Neapolis.
Wir beschließen nach Ende des Stücks noch ein wenig auf der Hauptstraße zu flanieren. Zwischen den Säulen finden wir einen Imbiss, der in Olivenöl gebratenen Fisch anbietet. Dazu gönnen wir uns einen Becher Wein. „Der Fisch ist frisch von drüben, aus dem Galiläischen Meer“, meint der Wirt. „Die liefern täglich.“ Das Gewässer ist von hier oben gut zu erkennen, der Blick reicht noch bis Tiberias. Die untergehende Sonne lässt die Wasserfläche silbern glänzen.

Wir unterhalten uns über die Inszenierung. Der Regisseur hat eindeutige Anspielungen auf den Herrscher in Rom eingebaut. Es gibt skandalöse Gerüchte über sein Privatleben, das er meist auf Capri verbringt.
Ansonsten, so mein nabatäischer Kollege, ist das Leben hier okay. „Seit wir Teil des Imperiums sind, laufen die Geschäfte gut. Zölle, Abgaben und Rechtslage sind klar definiert und die Infrastruktur wird ausgebaut.“ Weiter unten, in Petra, wird so gut verdient, dass man sich Grabhäuser in den Fels schlagen lässt. Ein Geschäftsmann habe sich eine Villa oben auf dem Felsen bauen lassen, mit Wasserspielen und Pool – mitten in der Wüste!
Drüben, auf den anderen Seite des Jordangrabens gäre es, habe er gehört. Die Anhänger des Gottes Jahwe verteidigen ihre Religion gegen die Versuche Roms, den Kaiser als Gottheit einzuführen. Aber Pontius Pilatus, der Statthalter in Jerusalem, habe das im Griff.
Ich schaue auf dem Heimweg zu meiner Herberge auf jenes Meer, das ich unter dem Namen See Genezareth kenne. Gut zu erkennen sind die Lichter der Fischer, die auf den See rausgefahren sind. Weder ich noch sie ahnen, dass am nächsten Morgen ein junger Wanderprediger am Ufer bei Kapernaum steht und ihnen den Frust eines schlechten Fanges im Gesicht abliest. Sie sollen einfach nochmals rausfahren, sagt er. Was bildet der sich ein? Die ganze Nacht nichts gefangen und dann bei Tageslicht? Zurück aber kommt die Gruppe mit randvoll gefüllten Booten. Bevor sie das Wunder fassen können, sagt der junge Mann am Ufer: „Kommt mit. Von jetzt ab sollt ihr Menschen fangen!“ Sie lassen alles stehen und liegen.
Was sich da bald in Galiläa und später weiter südlich in Judäa abspielt, ahnt hier in Gadara im dritten Jahrzehnt unserer Zeitrechnung niemand. Es interessiert auch nicht, in der Welt des Fernhandels zählt die Gewinnmarge. Und die stimmt hier.
Ein Sklave bringt noch ein Betttuch und eine Öllampe in mein Zimmer. Er murmelt wohl etwas von guter Nacht, aber ich verstehe kein Aramäisch.

Ich muss wohl in der Hitze eingedöst sein, vor mir steht noch der Cardamon-Kaffee, den der junge Mann im „Memory Cafe“ auf der Burg von Gadara (heute Umn Qais) serviert hat. Der Ventilator summt und lindert die 37 Grad, die meine Autothermometer selbst in fast 1000 Meter Höhe über dem Jordangraben zeigte. Vielleicht war es aber nur der Name des Cafes …
„Memory Cafe“ in Umn Qais
Es ist mittags und ich habe in knapp drei Stunden das gesamte Jordantal nach Norden durchfahren. Dann leitet mich mein Navi steil den Berg hoch, bis die Ruinen von Gadara auf der Hochebene auftauchen.
Eine Bergstadt fürwahr, wer hier residierte hatte es geschafft. Zusammen mit Gesara und Philadelphia (Amman) weiter südlich liegt hier am Westrand der Wüste eine Gruppe von Städten, die vom Bedarf Roms an Luxuswaren aus dem Orient und Südasien lebten. Heute verläuft im Jamuktal unter uns (ein Zufluss des Jordans) die Grenze zu Israel. Und jenseits erkennbar ist die Wasserfläche des Sees Genezareth. An seinen Ufern begann jener Zimmermannsohn aus Nazareth sein Werk „nicht von dieser Welt“.