Die Helden reiten durch den „Canyon des Halbmondes“, einer engen Schlucht mitten in der Wüste. Viele Prüfungen mussten sie überstehen, um bis hierhin zu gelangen. Senkrecht strecken sich die Felswände gegen den Himmel, der kaum noch zu sehen ist. Die Schlucht endet abrupt und gibt den Blick frei auf eine gewaltige Tempelfassade im roten Sandstein. Hier warten die Nazis auf unsere Helden, die den Heiligen Gral vor dem Bösen retten wollen.
Die Szene aus „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“, dem Spielberg-Film von 1989, ist mir lange in Erinnerung geblieben. Auf einer Jordanienreise vor drei Wochen wollte ich diese Fantasy-Welt einmal besuchen und durch jene Schlucht wandern.

Ich zog frühmorgens los, als es noch knapp unter 30 Grad war. Mein Hotel im Städtchen Wadi Musa lag gegenüber dem Petra Visitor Center, einem hypermodernen Gebäudekomplex, 2018 ergänzt durch ein Museum zur Geschichte der Nabatäer. Weit und breit keine Seele, dachte ich, wo sich sonst Tausende Besucher tagtäglich drängen.
Sobald jedoch die Felswände näher rücken, ruft es überall aus dem Schatten: „You want a donkey? May be later. Think about it.“ Verzweifelt fast warten die Esel- und Pferdehalter auf Touristen. In der Augusthitze und der Corona-Pandemie aber ist die Nabatäerstadt in Jordanien wie ausgestorben.
Ich wandere immer tiefer in den Canyon hinein, die Felsen wachsen buchstäblich in die Höhe. Ab und an taucht ein grüner Strauch auf, wie die Spur aus einer anderen Welt.
Exakt an der engsten Stelle, als gerade noch die Sichel des Mondes am tiefblauen Streifen über mir zu erkennen ist, öffnet sich die Schlucht und gibt den Blick frei auf das sogenannte Schatzhaus, jene ikonische Fassade im Sandstein, die zum Aushängeschild Jordaniens wurde.

Ich setze mich in den Schatten und genieße dieses Bild. Zwei Kamele sind von ihren Haltern hier platziert, vielleicht kommen ja noch einige aus der Instagram-Generation für ein kurzes Selfie mit Hintergrund. (Am Abend, als ich ein zweites Mal durch die Schlucht wanderte, kamen tatsächlich drei junge Amerikanerinnen fürs Foto mit Kamel.)
Ich sehe die letzten Szenen des Filmes vor mir, als der Gral samt Schätzen und den Bösen von einem Erdbeben verschluckt wird. Begleitet von einer Staubwolke stürzen unsere Helden aus dem Tempel in Petra: den Gral verloren aber das Leben gerettet.
In der realen Geschichte ist die Felsenstadt in Jordanien Zeugnis eines überaus wohlhabenden Händlervolkes aus der Antike. In der sogenannten Fassadenstraße sind noch weitere Grabhäuser und sogar ein Theater aus dem Felsen gehauen. Aber bevor ich mir die Ruinen der Stadt und die Spuren der Kultur später im Museum in Wadi Musa anschaue, verharre ich noch eine Weile auf meiner Sitzbank in der Fantasy-Welt von Abenteurern und Nazis, von verlorenen Schätzen und dem Sieg über das Böse.