Grenzfragen – an Mosel und Jordan

Die jungen Gänse suchen Futter in Luxemburg. Sie schwimmen dann kurz nach Frankreich und kommen schließlich auf der anderen Seite in Deutschland an. Wahre Grenzgänger!

Kaum irgendwo ist die Banalität von Grenzen, eigentlich nur Linien auf einer Landkarte, so sichtbar, wie am Dreiländereck in Schengen an der Mosel.

Die weiße Boje markiert das Dreiländereck bei Schengen (Blick von der luxemburgischen Seite)

Mir ging das durch den Kopf, weil ich zwei Wochen zuvor an einer anderen Grenze stand, auch an einem Fluss. Am Jordan, in Gluthitze und 400 Meter unter dem Meereesspiegel, kommen sich Israel und Jordanien bis auf fünf Meter nahe. Der Fluss ist hier nur ein schmutziger Bach, dessen Wasser desperat für die Landwirtschaft auf beiden Seiten genutzt wird. Die Grenze ist in Flussmitte und mäandriert mit dem Jordan vom Hermongebirge bis zur Mündung ins Tote Meer.

Der Jordan nahe der Baptism Site (Taufstelle Jesu): Blick vom jordanischen Ufer auf das israelische

Wäre nicht die unansehnliche Brühe, ein kurzer Sprung genügte, um zwischen Israel und Jordanien hin und her zu schwimmen. Aber wir Besucher werden von Armeeangehörigen beider Seiten (unauffällig) beobachtet, ohne Genehmigung der jordanischen Armee kam ich erst gar nicht in Ufernähe. Ein Bus hatte unsere kleine Gruppe durch Zäune und Wachtürme bis hier hin gebracht.

Hier am Jordan wird klar, was Grenzen einst bedeuteten und was wir in Europa gewonnen haben. Mit dem Schengen-Abkommen, benannt nach jenem Dorf an der Mosel, haben sich europäische Staaten, von Island bis Malta, darauf geeinigt, auf Passkontrollen zu verzichten. Und in der Eurozone, zwischen Riga und Teneriffa, muss man nicht mal Geld wechseln. In Schengen warteten Dutzende Autofahrer aus Frankreich und Deutschland an den Tankstellen, um hier billiger aufzutanken (unterschiedliche Besteuerung macht noch ein Rest von „Grenze“ aus).

Im Vergleich zum Jordan einige Tage zuvor wurde mir klar, was für ein Privileg es ist, im Schengen-Europa zu leben. Es gehört zur menschlichen Natur, dass heute Geltendes nicht mehr auf seinen historischen Werdegang und damit auf den errungenen Fortschritt untersucht wird. Wir nehmen die Gegenwart als gegeben hin und vergessen, wie es einst war.

Ein kleines Dokumentationszentrum in Schengen zeichnet den Weg der verschiedenen Abkommen nach.

Am Jordan herrscht zwar seit einem Abkommen im Jahr 1994 Frieden, aber die Resentiments gibt es noch immer. Das Westjordanland ist jetzt ein umschlossenes Gebiet der Palästinenser, ohne dass Jordanien dort Einfluss hätte. Von einer friedlichen Regelung hüben und drüben ist man noch weit entfernt. Selbst der bestehende Grenzübergang an der King Hussein Bridge (früher Allenby Bridge) ist derzeit geschlossen, aber daran ist das Coronavirus Schuld. Israel ist Hochrisikogebiet auf der Liste des RKI, Jordanien nicht. Ob das Virus an Grenzen halt macht?

Es gibt Grenzen, zum Beispiel von Sprachen (auch wenn der junge Kassierer an der Tankstelle in Schengen problemlos zwischen Letzeburgerisch, Hochdeutsch und Französisch wechselte), die nur durch eigene Anstrengungen zu überwinden sind. Aber meist sind es Linien, die Herrschaft und Kontrolle auf Landkarten markieren. Mein Navi im Auto warnte kurz vor der Moselbrücke „Achtung, Grenzübertritt.“

Solche Grenzen sind historisch gewachsen, wenn auch permanent verändert. Sie sind Insignien des Nationalstaates, einer europäischen Erfindung. Umso revolutionärer ist der Akt des Schengen-Abkommens: Nationalstaaten, die über Jahrhunderte miteinander Krieg geführt haben, geben freiwillig einen symbolträchtigen Teil ihrer Souveränität ab. Was mehr könnte als Friedensprojekt gelten?

Ein Gedanke zu “Grenzfragen – an Mosel und Jordan

  1. „….muss man nicht mal Geld wechseln….. „, aber der Urlaub in Italien brachte auch ein fettes Geldbündel in die Tasche. (Wurde auch lästig am Strand) Und lästig wurden die Eigner der Bündel, wenn sie über den „Fluss“ Adria nach Jugoslawien kamen, am Wochenende, weil es dort alles auf dem Tisch gab, was bei ihnen extra auf die Rechnung kommt: Stuhl, Messer, Serviette….. Toll, wenn die Deutschen mal nicht die Oberdeppen am Urlaubsort sind.

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