Der imaginäre Zitronenwald

Oft regen Worte unsere Phantasie an. Was denkst du zum Beispiel bei Zitronenwald? Es klingt wie ein Zauberwald, wo Zitronenduft den Wanderer betört. Diesen Zitronenwald mussten wir finden.

Erzählt davon hatte uns daheim ein Händler, der sich auf griechische Qualitätsprodukte spezialisiert hatte. Wir wollten in der dunklen Zeit des Lockdown eigentlich nur Olivenöl kaufen, aber der nette Verkäufer pries neben dem Olivenöl eine Zitronenmarmelade an. Sie stamme aus Poros, der Insel mit dem berühmten Zitronenwald. Es klang magisch.

So machten wir uns heute hier an der Südküste der Peloponnes auf nach Poros. Eine kurvenreiche Straße am blauen Wasser des Saronischen Golfs entlang brachte uns in das Städtchen Galatas. Von dort fährt alle zehn Minuten eine kleine Fähre auf die Insel.

Ein Bild wie auf einer Postkarte: das Städtchen auf einem Felsen, die bewaldeten Höhen der Insel im Hintergrund – dort sollte der Zitronenwald sein. An der Anlegestelle fanden wir das Tickethäuschen. Ob wir einen PCR-Test hätten, meinte die junge Frau hinter dem Glasfenster (hatten wir natürlich, aber der war schon eine Woche alt). Ich konnte mir nicht vorstellen, dass alle Fahrer solche Tests für die fünfminütige Überfahrt vorzeigten. „Egal“, meinte sie, „beim nächsten Mal dann“. Alle Autos mussten rückwärts auf der kleinen Fähre einparken. Schwupps, und wir waren auf Poros.

Wir fuhren der Nase nach durch das Städtchen, immer den Berg hinan. Kiefern, Kiefern, nichts als Kiefern. Immerhin ein Schild zu einem Poseidon-Heiligtum. Dort parkte ein Feuerwehrauto zur Brandwache, ein paar Steine mit freiem Eintritt, aber weit und breit keine Zitrone.

Ein schöner Aussichtspunkt gab den Blick frei nach Osten über den Golf, fast bis zur Insel Salamis. Ein kleines, schon rostendes Kirchlein, hatte die Blechtür offen: „Zu vermieten, Seelen gesucht“ wollte es wohl sagen.

Zu vermieten: Seelen gesucht!

Aber nirgendwo ein Zitronenwald. Wir fuhren wieder den Berg hinunter, kauften ein Ticket für die nächste Fähre aufs Festland und waren zurück in Galatas.

Irgendwo am Hang auf dem Weg zurück musste hier vielleicht der Zitronenwald sein. Außerhalb des Ortes sahen wir plötzlich in einem kleinen Taleinschnitt Zitronenbäume, wir waren auf der richtigen Spur. Ich parkte unser Auto in einem Feldweg, zwei kleine Hunde empfingen uns kläffend am Zaun, hinter dem die Zitronen an den Bäumen baumelten. Ein Bulli mit Freiburger Kennzeichen parkte mitten unter den Bäumen. Eine Stimme aus dem kleinen Haus rief: „Komm!“ Sie meinte wohl die Hunde.

Eine ältere Dame erschien am Zaun. „Hallo“, sagte ich, „Haben Sie von einem Zitronenwald gehört?“ Gehört schon, meinte sie, aber keine Ahnung, wo der sei. „Ich hüte hier nur das Haus und die Zitronen. Aber die will eh keiner.“

Die Zitronen an den Bäumchen schienen wie im Märchen von der Goldmarie zu rufen „Schüttelt mich.“ Aber keiner wollte sie. So verflog unser Traum an einem Maschendrahtzaun in bester deutscher Art.

An unserem Frühstückstisch Zuhause aber werden wir weiter vom Zitronenwald träumen, immerhin steht ja Lemonodasos auf dem Glas.

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