Im Land der Kokospalmen

Kerala, das die Kokospalme im Namen trägt, erfüllt alles, was unsere Phantasie beflügelt: Kilometer von Palmenhainen an den Stränden und entlang der Backwaters, jener Lagunen und Kanäle im Hinterland der Küste.

Vor dem Boom durch Tourismus und den Remissionen aus dem Ausland war es die Kokospalme, die Keralas dörfliche Wirtschaft in der Küstenebene bestimmte. Heute ist die traditionelle Kokosindustrie nahezu verschwunden und hat Shopping Malls und Container Terminals Platz gemacht.

Kokospflücker auf Havelock Island, Andamanen

Kokospalmen sind nicht nur die Ikonen für tropische Landschaften und Urlaubsträume, sondern auch extrem vielseitig nutzbare Bäume: Holz, Palmwedel zum Decken von Dächern und vor allem die Kokosnuss. Sie ist die Grundlage für Kokosfett, Kokosöl, Kokosraspeln – alle drei die wichtigsten Zutaten in der südindschen Küche – kein Chuttney ohne Kokos. Kokosnüsse werden auch als Erfrischunsgetränke an den Straßen verkauft: Gekonnt schlägt der Verkäufer ein Loch in die Nuss, mit einem Strohhalm lässt sich das köstliche Nass trinken.

Die Faser der Nuss ist Grundlage für Kokosteppiche und -matten. Und für Seile, die zum Beispiel beim Transport und beim Bau benötigt werden.

Kerala bot beste Faktoren für die Kokoswirtschaft: ideale Böden und Klima für die Palmen, dazu die brackischen Lagunen zum Wässern der Nüsse. Hier wurden sie früher in Netzen zu schwimmenden Inseln zusammen gebunden, bis das Wasser die Faser aufgeweicht hatte. Sie waren dann leicht durch Schlagen in Fasern zu zerlegen, meist war dies Arbeit von Frauen.

Die Faser aus den Nussschalen wird heute fast nur noch für Seile verwendet. Wir besuchten jenseits der Westghats in Tamil Nadu eine Spinnerei, in der solche Seile hergestellt wurden (drei Fotos unten). Tamil Nadu ist heute der führende Staat der Kokosproduktion in Indien und hat Kerala überholt.

Um die Kokosfaser herum aber entwickelte sich in Kerala die sogenannte Cottage Industry, kleine Spinnereien und Webereien im Hinterland der Backwaters. Heute findet man noch die eine oder andere für Touristen an der Hauptstraße zwischen Kochin und Thiruvananthapuram.

An der Hafeneinfahrt von Kochi gab es in 1980er Jahren eine Weberei, die als Kooperative geführt wurde. Die Fasern wurden gefärbt und in Webstühlen in ein „Garn“ verwandelt, aus dem sich Matten und kleine Teppiche flechten ließen. Diese Kooperative ist längst verschwunden und hat der Infrastruktur des Überseehafens Platz machen müssen.

Auch eher selten sieht man noch Plätze, auf den das Kokosfleisch getrocknet wird. Es lässt sich dann leicht aus der Schale lösen und zermahlen.

Kokoswirtschaft ist arbeitsintensiv, aber daran mangelte es im dichtbesiedelten Kerala nie. Die Palmen müssen gepflegt werden, vor allem abgestorbene Wedel werden regelmäßig entfernt. Dazu muss ein Arbeiter buchstäblich „auf die Palme“ steigen. Auch Kokosnüsse werden so geerntet.

Was für uns als Touristen fotogen wirkt, ist in Wirklichkeit harte körperliche, ja fast athletische Arbeit. Und dafür findet sich heute kein junger Mann mehr. Lieber arbeitet „Mann“ in einem Hotel oder studiert, um in den Golfstaaten einen Job zu finden.

So stirbt die traditionelle Kokoswirtschaft in Kerala aus. In Tamil Nadu, auf der Ostseite der Ghats aber findet sie eine Zukunft als kommerziell attraktive und professionell geführte Plantagenwirtschaft.

Im „Land der Kokospalmen“, so die Bedeutung des Namens Kerala, bleibt die Palme nur noch als werbewirksames Bild für die Tourismusindustrie erhalten.