Patentrechte, Imperialismus und Kautschuk

Stell Dir vor: Du hast über lange Zeit ein tolles Produkt entwickelt. Viel Wissen und Erfahrung ist rein investiert, kein anderer hat es bislang. Dann gibt es weltweite Veränderungen und Dein Produkt ist überall nachgefragt. Super, Du wirst reich. Warum nicht? Du hast das Produkt gehegt und gepflegt.

Dann wird es Dir bei Nacht und Nebel geklaut und auf die andere Seite des Erdballs transportiert. Dort, wo ähnliche Laborbedingungen herrschen, wie in Deiner Region. Aber dort braucht Dein Mitbewerber große Landflächen. Er erobert sie sich einfach oder gewinnt sie mit zweifelhaften Verträgen. So ist es Deinem Produkt, der Hevea brasiliensis ergangen – dem Kautschuk.

Mir geht die Geschichte durch den Kopf, wenn derzeit über Aussetzung von Patentrechten für die modernen Impfstoffe diskutiert wird.

Im Falle von Kautschuk wurden diese „Patentrechte“ einfach geklaut und vom Amazonas nach Süd- und Südostasien transportiert. Und weil man dort eigentlich nicht Zuhause ist, den Kautschuk aber Zuhause braucht, erobert oder annektiert man die Fläche für Plantagen. Das nennt man Imperialismus.

Es wurde in die Forschung zur Optimierung der Pflanze und des Produkts investiert. Dabei erfand man die moderne Plantagenwirtschaft samt Monokultur, und wurde Kolonialmacht. Aber gefragt wurde dafür vor Ort keiner, die Macht von Kanonen und Flotten regelte das. Und auch die Gewinne blieben nicht im Land des Anbaus.

Heute kommt fast der gesamte Naturkautschuk aus Asien. Wir brauchen ihn für Flugzeugreifen, medizinische Ausrüstung – und für Kondome.

Die Freigabe von Patentrechten für Impfstoffe kann man diskutieren. Aber die Wahrung von Urheber- bzw. Erfinderrechten ist ein hohes Gut. Es gibt bessere und effizientere Möglichkeiten des Westens (jener einstigen Imperialisten), den anderen Ländern mit Impfstoffen zu helfen: generöse Lizenzvereinbarungen, staatliche Preissubventionen etc.

Nur sollten wir daran denken, dass wir einst nicht zimperlich waren (und noch sind), uns das zu holen, was wir brauchen. Demut mit Blick auf die Kolonialgeschichte täte in der Diskussion gut, eine große Portion Solidarität für den Rest der Welt wäre noch angebrachter.

„Vaccinate the world“. New York Times, 26 May 2021