Die Autor*innen der mittelalterlichen Weltkarte aus dem Kloster Ebstorf sind sich sicher: Makedonien, die Heimat Alexanders, das ist es. Mehr noch, der weitaus größte Teil der Karte aus dem Jahr 1300 zeichnet den sogenannten Alexanderroman nach. Er war der nach der Bibel populärste Lesestoff (obwohl nur hinter Klostermauern).
Und die Abenteuer des Makedonen, der mit 20 loszog und ein Alexandria nach dem anderen gründete und mit 33 starb, umspannten die ganze bekannte Welt, bis nach Indien – dort wo laut Weltkarte das Paradies liegt.
Nicht nur bis Ebstorf bei Lüneburg, sondern bis auf die Malayische Halbinsel war der Ruf Alexanders vorgedrungen. Der Gründer und erste Sultan von Malacca nannte sich ab 1403 Iskandar Shah („König Alexander“), ein Name der Programm wurde. Das Sultanat unterwarf sukzessive alles in seiner Nachbarschaft.

Die Eroberungen des Makedonen und seiner Soldaten bewirkten eine Zeitenwende im Mittleren Osten, seine Spuren lassen sich bis heute in Afghanistan oder im pakistansichen Punjab finden. Die Darstellung des Buddha in Bamyan im Hindukush folgen griechisch-makedonischer „Mode“.
Der Mythos Alexander beschäftigt Historiker immer noch und die Suche nach seinem Grab geht weiter. Es ist der heilige Gral der Archäologie und kann irgendwo sein, in Ägypten, in Babylon oder vielleicht in Persien – jedenfalls weit entfernt von der Heimat im Norden Griechenlands.
Dort sind Alexander und sein Vater, Philipp II. Kristallisationskerne einer regionalen Identität. Um die wurde Jahrzehnte lang so stark gerungen, dass die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Mazedonien sich in Nordmazedonien umbenennen musste, wenn sie sich eine Chance zum EU-Beitritt ohne Veto Griechenlands wahren wollte. Auf den zentralen Plätzen beider Hauptstädte, Skopje und Thessaloniki, stehen Reiterstatuen Alexanders.
Man kann sich also vorstellen, welche Sensation es war, als 1977 unter einem Hügel beim kleinen Städtchen Vergina in einer recht undramatischen Gegend die Gräber makedonischer Könige gefunden wurden. Darunter auch das von Philipp II., dem Vater von Alexander. Unter seiner Herrschaft wuchs Makedonien zur neuen Macht in Griechenland. Diesen Einfluss muss er auf seinen Teenage-Sohn Alexander ausgeübt haben. Aber er tat noch mehr und ließ den makedonischen Landsmann Aristoteles als Privatlehrer für Alexander engagieren. Das wäre so, als hätte der britische Prinz Philipp für seinen Sohn Charles Karl Popper als Erzieher „engagiert“.
Die Funde von Vergina sind heute in einem eindrucksvollen Museum ausgestellt. Es ist dem ursprünglichen Grabhügel nachgebaut und leitet den Besucher in eine mystische Dunkelheit.
Zugang zur Grabkammer Philipps

Rüstung Phillps II., Brustpanzer und Halsschutz aus Gold
Unser Navi führte uns bei dem Besuch im September 2020 von der Hauptstraße weg durch Obsthaine. Nichts zu sehen von dorischen Säulen oder gar einer kleinen Akropolis, es brauchte detektivische Arbeit, um den Parkplatz nahe dem Museum zu finden.
Es war ein schöner Spätsommersonntag. Wir wollten vor dem Besuch etwas essen, überall gab es schöne Restaurants mit Tischen im Freien. Am Zugangsschalter aber erhielten wir nur eine Wartenummer – der Eintritt sei heute frei. Wegen Covid aber würde der Zugang sehr streng reguliert. Wir nutzten die Wartezeit und aßen zu Mittag. Eine Familie, jung und alt, tanzte zu einer Tauffeier. Dazu spielten drei Jungs mit Musik auf.

Am Museum waren wir erstaunt, keinerlei Touristen, aber viele Einheimische zu sehen, die geduldig auf den Aufruf ihrer Zugangsnummer warteten. Ein Besucher aus Thessaloniki erklärte uns, dass bei einem Eintrittspreis von 12 € ein Besuch für Familien unerschwinglich sei. Es war uns ein wenig unangenehm, von dieser Konzession an die Makedonen zu profitieren. Denn für die wirkliche Sensation, die das Museum im Nirgendwo bietet, hätten wir gern den Eintritt bezahlt.
Ein Gang unter Bäumen führte in den Tumulus und eröffnete im Dunkeln eine Welt von Gold und Bronze. Der Zugang zu Philipps Grab war rekonstruiert, das ganze Museum eine architektonische Meisterleistung mit großen Vitrinen, Darstellung von Fresken und Teilen der Originalmauern, wie sie im Grabhügel gefunden wurden.
Die Makedonen haben diesen heiligen Gral ihrere Geschichte meist für sich. Kaum ein Tourist verirrt sich von Attika oder den Inseln hier hin. Im kleinen Ort Vergina hatte man sich mehr von der archäologischen Sensation erhofft. Die Pandemie hat zu dieser Tristesse beigetragen. Historische Bedeutung verbirgt sich Jahrhunderte später an unscheinbaren Orten. Aber Griechen und Makedonen tragen diese in ihren Genen und Europa hat sie umarmt.