Einchecken im Hotel Tamil Nadu

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Welcome to the Hotel California. Such a lovely place. Plenty of room in the Hotel California. Any time of the year. You can find it here.“ Das Radio spielte wieder einmal den Song von den Eagles. Mir fiel dabei das Hotel Tamil Nadu ein, in dem ich einst eincheckte.

Rezeption im Hotel Tamil Nadu

Der kleine Ort Hogenakkal im entlegensten Winkel Südindiens ist bekannt für die Wasserfälle der Kaveri. Hier stürzt sich die Lebensader für Millionen in Südindien vom Plateau des Dekhan in die Ebene Tamil Nadus. Ein Taxi brachte mich zur einzigen Übernachtungsmöglichkeit im Ort, dem Hotel Tamil Nadu.

Überall in Indien gab es früher, lange bevor private Investoren in den Hospitality Markt investieren konnten, staatliche Bleiben. Sie reichten von Restrooms im Obergeschoss von Bahnhöfen und Flughäfen bis hin zu den Dak Bungalows aus der Kolonialzeit, die noch Jahrzehnte später von Beamten verwaltet wurden und oft die einzige Übernachtungsmöglichkeit in entlegenen Orten waren. Im Bundesstaat Tamil Nadu übernahm diese Funktion die gleichnamige staatliche Hotelkette, verstreut über all die Orte, die für Touristen und Pilger wichtig waren.

Ich betrat den funktionalen Betonbau der 1970er Jahre mit lindgrünem Anstrich durch eine Gittertür. Die musste ich selbst zur Seite schieben. Im Zimmer gegenüber der Rezeption lief der Fernseher und die Klimaanlage. Manager und Personal verfolgten gebannt ein Cricket Match vom Bett aus. Einer bequemte sich an den Tresen.

Ich erkundigte mich nach den Zimmerpreisen, mir lag an Aircondition. Diesen Standard bot nur jenes gegenüber der Rezeption, daher musste das gemeinsame Fernsehen allerdings beendet werden („No problem, Sir“). Ein Angestellter trug meine persönlichen Details in ein dickes Buch ein, welches jedem historischen Archiv zu Ehre gereicht hätte (und sicher irgendwann als Relikt einer vergangenen Zeit dort auftaucht).

Da ich noch ein kühles Bier in der Hotelbar im Untergeschoss genießen wollte, bot ich dem Personal an, in meinem Zimmer weiterhin Cricket zu sehen. Die Hotelbar (oft noch Permit Room genannt, weil früher der Gast eine Sondergenehmigung zum Alkoholkonsum vorzeigen musste) war nur über einen Zugang außerhalb des Hotel zu erreichen. Beim Eintreten erschraken zwei junge Männer gehörig. Sie hatten versucht, den Fernseher zum Laufen zu bringen, einen  Gast hatten sie nicht erwartet.

Ein Schild über dem Tresen mahnte in Tamil und Englisch „Alkohol ruiniert Land, Familie und Gesundheit“ – in dieser Reihenfolge. Mit einem entwaffnenden Lächeln aber stand der Gast umgehend im Mittelpunkt: „What you want?“. Es gab diverse Whiskey-Flaschen in der Vitrine, aber ich hatte richtigen Durst. Angesichts der sparsamen Ausstattung und der bekannten Stromausfälle fragte ich „What do you have?“ „Cool drinks!“No beer?“ „Sorry sir, not in fridge, but we can put in, you wait“. Ich entschied mich für eine Cola.

Etwas verlegen standen sie hinter dem Tresen und waren erleichtert, als ich schließlich Fragen stellte: „What are you doing here?“Trainees“ schoss es stolz herüber. Ob es denn hier ein gutes Training sei? Ja schon, man würde natürlich viel lieber in einer schicken Bar in Chennai arbeiten. Ob die Klimaanlage hier nicht funktionieren würde? Sorry, aber die Fernbedienung hätte keine Batterie mehr. Mir kam der Eagles-Song in den Sinn: Aus diesem entlegenen Hotel gab es vorerst kein Entrinnen. „You can check out any time, but you can never leave.“

Ich spazierte am nächsten Vormittag durch die Hauptstraße des Ortes. Ein Barbier legte Hand an den Kunden, grüßte aber freundlich.

Kinder waren unterwegs zur Schule. An einem Haus baumelte eine Maske. Sie soll böse Geister abhalten, sich während des Baus einzunisten.

Ein Saddhu saß am Wegesrand, Warten können ist eine der größten Tugenden Indiens. Vor einem Haus wurde gekocht, ein Laden bot Kochtöpfe zum Mieten an, aber auch Telefonapparate dazu.

Der Manager des Tamil Nadus hatte mir noch einen Tipp gegeben, den ich nicht verschmähen wollte: das Crocodile Rehabilitation Centre.

Hier finden Krokodile eine Heimstatt, bevor sie später im Fluss ausgesetzt werden. Für sie war es wohl auch eine Art Hotel Tamil Nadu. „And I was thinking to myself ‚This could be heaven or this could be hell.“