„Erfolg kommt, wenn Wahrheit vorherrscht!“ Dieses Motto von Mohandas Gandhi, wirkt in Zeiten von Fakenews und Big Lies wie aus einer anderen Welt. „The story of my experiments with truth“ ist der Untertitel der Autobiographie des Mahatmas, die er 1921 in einem Ashram am Ufer des Sabarmati bei Ahmedabad fertig stellte.
„Meine Absicht war es nicht, eine echte Autobiographie zu versuchen. Ich wollte nur die Geschichte meiner vielen Experimente mit der Wahrheit beschreiben. Und weil mein Leben aus nichts außer diesen Experimenten besteht, ist es wahr, dass diese Geschichte die Form einer Autobiographie annimmt“ schreibt er in seinem Vorwort.

Nach seiner Rückkehr nach Indien im Jahr 1914 war es eine Zugfahrt, die ihn – wie schon 1893 in Pietermaritzburg (Südafrika) – an die Diskriminierungen in der indischen Gesellschaft erinnerte: Auf dem Weg zu seinen Verwandten in Porbandar erfuhr er am eigenen Leib, wie Fahrgäste der dritten Klasse vom Zugpersonal wie Vieh inspiziert und herum kommandiert wurden. So gab es Zugtoiletten nur für die höheren Klassen, was zu unhygienischen Bedingungen führte. Gandhi nahm sich vor, darüber bei der englischen Kolonialregierung Beschwerde einzulegen. In einer Rede hatte er zuvor die gefordert, dass mit zivilem Ungehorsam (Satyagraha) ein solcher Zustand abgeändert werden könne. Sein Ruf aus Südafrika war ihm voraus geeilt: „Ist das nicht eine Drohung?“ fragte ihn der Beamte der Kolonialverwaltung in Bombay. „Und glauben Sie wirklich, eine mächtige Kolonialregierung würde dem nachgeben?“
Es sei keine Drohung, antwortete Gandhi. Er habe die Menschen nur aufklären wollen. „Es ist meine Pflicht, berechtigte Klagen der Leute anzuhören. Eine Nation, die zu sich selbst finden soll, muss alle Mittel und Wege zur Freiheit finden. Meist ist dabei Gewalt das letzte Mittel. Satyagraha ist eine absolut gewaltfreie Waffe. Ich betrachte es als meine Pflicht, diese zu erklären und ihre Grenzen aufzuzeigen. Ich habe keinen Zweifel, dass die britische Regierung eine machtvolle Regierung ist, aber ich habe auch keinen Zweifel, dass Satyagraha das Instrument eines souveränen Volkes ist.“ „Wir werden ja sehen,“ antwortete der Beamte in Bombay. Diese Ankedote, schreibt Gandhi, sei für ihn die Ankunft von Satyagraha, dem gewaltlosen zivilen Ungehorsam in Indien gewesen (S. 442 ff. in der englischsprachigen Ausgabe der Autobiographie). 43 Jahre später gab es die mächtige Kolonialmacht nicht mehr, 1914 aber hatte der politische Kampf in Indien für Gandhi gerade erst begonnen.
Schon in Südafrika lebte er mit seiner Frau in einer Kommune (der Tolstoi Farm in Transvaal). Er wollte so das private, persönliche Leben in Einklang mit seinen politischen Zielen bringen (im Film „Gandhi“ von Richard Attenborough nach der Biographie des Journalisten Louis Fischer ist dies eindrücklich dargestellt). Aufrichtigkeit zu sich selbst und nach Außen definiert seinen Wahrheitsbegriff.
Im Mai 1915 nahm er diese Lebensform wieder auf, in seinem Heimatstaat Gujarat am westlichen Ufer des Sabarmati-Flusses unweit von Ahmedabad. Er gründete einen Ashram, eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. „Als Gujarati dachte ich mir, könnte ich den größten Dienst an meinem Land in der Muttersprache leisten“ schreibt er. „Und weil Ahmedabad eine altes Zentrum der Webindustrie war, erschien es mir als günstiger Ort für die Wiederbelebung des Webens als dörflicher Industrie“ (S. 451). Es sei natürlich auch mit der Hoffnung verbunden, so der alte Fuchs, dass monetäre Hilfe von wohlhabendne Bürgern hier eher erhältlich wäre als anderswo.
Neben politischen Diskussionen und der Koordination von Aktionen über den Subkontinent hinweg wurde der Ashram Zentrum der Khadi (=Dorfindustrie)-Bewegung. Er suchte und fand ein traditionelles Spinnrad, auf dem er nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich Garn produzierte. Es sollte die Autonomie der Dörfer und die Unabhängigkeit von kolonialer Ausbeutung darstellen. Auch das ist Gandhis ist Verständnis von Wahrheit: Nur was Du selbst tust, kannst Du auch von der Gesellschaft verlangen. Gandhi wäre ein idealer Gesprächspartner für Kant gewesen.
Der Sabarmati-Ashram ist bis heute eine Pilgerstätte für Gandhi-Anhänger und als Museum und Dokumentationszentrum ausgebaut. Der Raum in seinem Wohnhaus samt Spinnrad ist im Originalzustand erhalten.
Der Ashram ist eine weitläufige, baumbestandene Anlage am Hochufer des Sabarmati. Das Dokumentationszentrum wurde von dem Architekten Charles Correa gestaltet, mit Lichthöfen und Schauwänden. Ich war 1984 zuerst im Ashram und habe ihn 26 Jahre später noch einmal besucht.




Nach 1930 wurd der Ashram aufgelöst, Gandhi zog mit seinen Anhängern in einen weiteren in Zentralindien. Aber er ist der Ort, an dem er seine Autobiographie schrieb und so sein politisches Erbe in Südafrika dokumentiert. Für Indien aber begannen die Experimente mit der Wahrheit am Ufer des Sabarmati.