Wer aus der Bahnhofshalle von Ahmedabad Junction heraus tritt, der sieht jenseits des mit Mopeds und Fahrrädern zugeparkten Vorplatzes zwei zumindest in ihrer Größe unscheinbare Minarette. Sie gehören zur Sidi Bashir-Moschee, und sie haben es förmlich in sich.
In seinem umstrittenen, aber Ende der 1960er Jahre bestverkauften Buch „Erinnerungen an die Zukunft“ hielt der Schweizer Autor Erich von Däniken die Minarette für den Beleg früher außerirdischer Intelligenz auf der Erde. Die Moschee samt der beiden Türme stammt aus dem 16. Jahrhundert. Sie wurde im 17. Jhd. teilweise zerstört, die Minarette stehen bis heute.
Minarette der Sidi Bashir Moschee Sidi Bashir Moschee, Ahmedabad
Was es mit ihnen auf sich hat, konnte ich bei einem Besuch im Dezember 1984 leibhaftig erfahren. Vermutlich bin ich noch einer der wenigen lebenden Zeitzeugen 🙂 eines Phänomens, für das es bis heute keine Erklärung gibt.
Damals lief ich auf die andere Seite des Bahnhofsvorplatzes, weil ich von diesem „Weltwunder“ gelesen hatte. Zwei junge Wächter witterten ein kleines Geschäft: Ich könne auf den einen der beiden Türme klettern, sie würden den anderen besteigen.
Der junge Mann beginnt, das steinerne Minarett in Schwingung zu versetzen. „Shaking and swinging“
Gegen ein kleines Bakshish, versteht sich. Gesagt getan: ich stieg durch eine extrem enge Wendeltreppe bis auf die oberste Balustrade, sagen wir besser: einen steinernen Kragen. Die beiden Minarette sind nur knapp 20 Meter hoch.
Die beiden „Wächter“ begannen auf dem gegenüberliegenden Turm ihr Körpergewicht gegen den Turm zu pressen. Sie brachten ihn tatsächlich in eine – wenn auch kaum sichtbare – Schwingung. Und Minuten später schwang mein Minarett mit. Es war keine Halluzination: Ich schunkelte auf der Balustrade mit und musste mich am Turm festhalten.
Meine Frau, die mit unseren Kindern unten wartete, fand mein Rufen gar nicht lustig. Schwingende steinerne Türme haben die Tendenz umzufallen. Es ging ja noch einmal gut, die Türme stehen noch, aber sind seit dem für Besucher gesperrt.
„Shaking Minarettes of Ahmedabad“ aus Sahapedia.org
Die Hauptstadt des Bundesstaates Gujarat bietet aber noch andere Sehenswürdigkeiten und ist – so denn Indien die Pandemie schnell überwindet – ein Reiseziel abseits der großen Touristikrouten. Die Millionenstadt ist stadtgeographisch durch und durch islamisch. Mondsichelförmig erstreckt sie sich zwischen Hauptbahnhof und dem Sabarmati-Fluss mit engen Gassen, typischerweise sogar Sackgassen, und der Jama Masjid im Zentrum.
Es gibt internationale Flugverbindungen in die boomende Industriestadt (Textil, Maschinenbau, Software), aber auch im innerindischen Verkehrsnetz ist Ahmedabad gut angebunden. In der Altstadt ist das alles weit weg, hier regiert der Bazar.
Es ist eines dieser erstaunlichen Dichotomien Indiens: Eine durch und durch orientalische Stadt inmitten eines Bundesstaates, der von zuweilen orthodoxem Hinduismus geprägt ist. Insofern ist Ahmedabad auch ein Labor für den Zusammenhalt in Indiens Gesellschaft.
Die „Shaking Minarettes“ sind vielleicht sogar eine gute Metapher dafür.