In diesen frühen Maitagen im zweiten Jahr der Pandemie gehen meine Erinnerungen zurück an Bilder einer anderen Zeit. Man müsste ein Maharaja sein. Begeben wir uns also in eine Traumwelt losgelöst von den heutigen Schlagzeilen und der brutalen Realität. Die Kulisse dazu liegt in Udaipur, im Bundesstaat Rajasthan. Hier am Rande der Thar-Wüste zwischen Bergen und Seen haben sich Rajputen-Herrscher eine Welt aus Palästen geschaffen, die wie eine Filmkulisse wirkt. Und das war sie in der Tat.
Ich erinnere mich an den Film Der Tiger von Eschnapur, oft zur Weihnachtszeit bei uns im Fernsehen gezeigt. Er wurde unter dem Regisseur Fritz Lang – genau, der berühmte von „Metropolis“ – 1958 in Udaipur gedreht. Für jüngere unter uns mag es Octopussy sein, der James-Bond-Film von 1983 mit Roger Moore, der ebenfalls in Udaipur gedreht wurde.
Jedenfalls verbinden wir mit dem Lake Palace Hotel (der See, ein Palast und das Hotel) in Udaipur, alles was das grandiose Leben dieser Fürstenkaste in Rajasthan ausmacht.

Als künstliche Insel im See hatte der Maharaja sich einen Palast als Vergnügungsort erbauen lassen. Der gehört heute zur Taj-Hotelgruppe. Am östlichen Seeufer ist ein Teil des Palastes ebenfalls als Hotel umgebaut (Fateh Prakash Palace). Gleich gegenüber liegt der City Palace, die Residenz des Maharajas. Und um den See gibt es noch ein halbes Dutzend anderer, jüngerer Luxushotels.
Als Reiseleiter hatte ich das Vergnügen, in jenem Hotel nächtigen zu können. Ein Porter schleppte meinen Koffer durch Flure, Säle und Treppenaufgänge.
Endlich erreichten wir mein Zimmer, eigentlich eine kleine Zimmerflucht mit Vorraum, einem Bad samt freistehender Wanne und einem Schlafgemach mit Sitzecke.
Das Bett war ein Diwan, über dem noch ein Kronleuchter hing. Ein Schlachtengemälde mit Kampfelephanten hing über der Couch, die mit blumengemusterter Seide bezogen war.
Ein freier Nachmittag in unserem Reiseprogramm nutzte ich zu einem ausgiebigen Bad. Standesgemäß klingelte ich im locker umgehängten Bademantel nach dem Zimmerservice für einen Snack zur Tea Time. Als es klopfte, öffnete ich leger – nur um vor einer britischen Reisegruppe zu stehen, die den Palast besichtigte und sich im Flur geirrt hatte. Ich erklärte kurz, wer ich sei (nicht der Maharaja) und der Führer der Gruppe rief zurück in den engen Gang: „Not the Maharaja, only a half-naked German!“
Zum Dinner trafen wir uns auf der Terrasse am See mit einem grandiosen Sonnenuntergang. Zuvor hatte es geregnet und die ansonsten gelbgraue Landschaft war in eine Oase aus Grün verwandelt.

Am nächsten Vormittag mietete ich ein Taxi zum Sajjangarh Hügel, von dem man einen Panoramablick auf die Stadt und die Landschaft drum herum. Oben steht noch ein kleiner Palast: Monsoon Palace.
Der City Palace liegt im Gewirr der Innenstadt von Udaipur. Der Maharaja residiert mitten unter seinen „Untertanen“ – heute aber wie er gleichberechtigte Bürger Indiens. Die Stadt ist ein Labyrinth von Gassen, Gebäuden und Geschäften. Udaipur zieht Luxusreisende wie Backpacker gleichermaßen an.
Es ist das perfekte Ziel für denjenigen, der ein anderes, ein wenig surreales Indien sucht. Aber was in Indien ist nicht surreal?