Buddhismus verbinden die meisten von uns mit Meditation und Askese. Wer Mönch ist oder werden will, zieht sich in die Klöster der Bergregionen des Himalaya zurück.
Was uns einst bei einem Besuch des Klosters Rumtek, unweit von Gangtok, der Hauptstadt Sikkims überraschte, waren Soldaten der indischen Armee, die den Eingang zum Kloster bewachten. Das steht ganz im Gegensatz zur Friedlichkeit der Religion und der des Ortes. Hintergrund ist ein Konflikt zwischen Anhängern rivalisierender spiritueller Führer.
Das Kloster gehört der Karma Kagyu-Sekte des tibetischen Buddhismus. Diese Linie ernennt einen Karmapa als ihr Oberhaupt, der in einer Abfolge von Inkarnationen die Lehre Buddhas zu den Schülern weiter trägt.
Rumtek wurde im 18. Jahrhundert vom 12. Karmapa gegründet. Nach der Besetzung Tibets durch China floh Rangjung Rigpe Dorje, der 16. Karmapa, im Jahr 1959 nach Indien. Es gelang ihm, heilige Gegenstände und Reliquien aus seinem Kloster Tsurphu nach Rumtek zu retten.
Das Kloster war zerfallen und musste aufwendig restauriert werden. Die Lage an einem mit Bäumen bewachsenen Talhang, mit Bächen und Flüssen und dem Blick auf die Himalayagipfel erschien dem 16. Karmapa geeignet als spirituelles Zentrum für seine Zeit im Exil. Hilfe beim Aufbau von Rumtek erhielt er von der königlichen Familie in Sikkim, bis 1975 noch ein eigenständiges Königreich. 1966 wurde das Kloster eingeweiht.
Der 16. Karmapa öffnete die Lehre des Buddhismus für den Westen. Es war absehbar, dass eine Rückkehr nach Tibet für lange Zeit ausgeschlossen ist. In den 1970er Jahren reiste er nach Europa und in die USA. Er starb im November 1981.
Mit der Auswahl des 17. Karmapa begann eine Kontroverse, ja ein Konflikt – bei dem das Kloster von Militärs bewacht werden musste – zwischen zwei Kandidaten, die für sich die Inkarnation reklamieren konnten. Bis dahin wurde die Anerkennung einer solchen im Konsens der Lamas (Lehrer) erzielt. Frühere Weissagungen etwa waren ein Hinweis. Aber für die Festlegung gab es keine fixen Kriterien.
Nun also beanspruchten zwei Kandidaten, der 17. Karmapa zu sein. Die Sekte geriet dabei mitten in die geopolitische Rivalität zwischen Indien und China. Einer der Kandidaten, Orgyen Thrinle Dorje, geboren 1985, entkam 1999 aus Tibet. Während er von den Mönchen in Rumtek als rechtmäßiger Karmapa anerkannt wird, steht die indische Regierung eher hinter Trinley Thaye Dorje, 1983 in Lhasa geboren. Er residiert bislang in Kalimpong. In der Kontroverse gab es gerichtliche Auseinandersetzungen und Handgreiflichkeiten zwischen beiden Gruppen. Beide Kandidaten trafen sich 2018 im Ausland zu einer versöhnlichen Aussprache.
Wer in Rumtek residieren soll, bleibt dennoch auch 30 Jahre nach dem Tod des 16. Karmapas umstritten. Die Sekte lebt derweil mit zwei jungen 17. Karmapas.
Der Besucher nimmt diesen Konflikt im Kloster nicht wahr. Er kann Gebetsräume besuchen und sich von der einzigartigen Atmosphäre inspirieren lassen. Von den Klostermauern geht der Blick auf die andere Talseite, wo sich die Stadt Gangtok am Hang entlang erstreckt. Die mühsam zu bearbeitenden Reisterrassen verschwinden unter Bäumen, Sikkims Wohlstand ist den Investitionen Indiens in diesem strategisch so wichtigen Teil des Himalyas zu verdanken.
Große Hoffnungen wurden auf eine Entspannung mit und wirtschaftliche Öffnung zu China gelegt. Hier hätte Gangtok und der Nathu La-Pass auf dem Weg nach Lhasa eine wichtige Rolle zu spielen, wenn die alte Handelsroute eröffnet ist. Derzeit ist eher das Gegenteil der Fall.

Rumtek gehört zu einer Kette von Klöstern zwischen Ladakh und Arunachal Pradesh, die den tibetischen Buddhismus lebendig halten und ihn in die Moderne überführen. Die Tibetfrage und der Konflikt zwischen Indien und China ist dabei eine Belastung für die Nachfolger des Erleuchteten. Ansonsten ist es tröstlich zu wissen: Auch buddhistische Mönche sind nur Menschen.