3 oder 30 oder 330 Millionen Götter helfen den Hauptgottheiten im Hinduismus beim Schutz von Mensch, Tier und Feld. Im Süden des Landes werden sie in bunten Farben an den Tempeltürmen oder als Figuren auf dem Feld dargestellt. Unsere 14 Nothelfer verblassen dagegen.

Bei einer Wanderung am Berghang bei Dindigul fand ich diese Wandmalerei samt Grafiti. Shiva mit seiner Frau Parvathi und den beiden Söhnen Ganesh (links) und Murugan (rechts) vor den Bergen des Himalaya verkörpern die göttliche Familie, wie sie in Tamil Nadu gesehen wird. Eine Ratte (zu Füßen von Ganesh), der Stier und der Pfau sind Tiere, die in den Geschichten der Gottheiten eine große Rolle spielen.

Überlebensgroß trohnt der Gott Ayyanar über all mitten in den Feldern. Er soll das Vieh bewachen und hat nebenbei noch jede Menge Helfer neben sich. Dazu gehören auch in Khakianzügen gekleidete „Beamte“ mit Gewehr – wohl eine Anspielung auf die britische Kolonialzeit. Sein Fuß tritt auf den Kopf eines Dämonen, in der rechten Hand hält er ein Schwert.
Vor einiger Zeit war ich mit einer Gruppe Bildungsreisender in Tamil Nadu unterwegs. Ich hatte Mühe, alle Fragen zu Göttern und Religion zu beantworten. An einer Straßenkreuzung in einem kleinen Dorf nahm mir der Busfahrer meine Arbeit ab.

Auf die Frage, wie wohl der Gott mit Weste, Krawatte, Jagdhund, Pferd und Lanze (!) heiße, sagte der Fahrer, das sei Gott Milky Man. Die Lacher meiner Mitreisenden hielten noch Stunden an.

Oft stehen im Feld oder am Dorfeingang Pferde in fliegendem Galopp. Es sind die Pferde des Gottes, der nachts umher reitet, um Feld und Vieh zu bewachen.
Die Figuren an den Tempel sind aus Gips und werden dann bemalt. Aufgrund der starken Verwitterung im heißen Klima müssen sie oft restauriert werden. Bei den großen Tempeltürmen – es sind eigentlich die Eingangstore zu den Tempeln – geschieht das alle sieben bis zehn Jahre. Wenn man Pech hat, ist dann der sogenannte Gopuram hinter Bambusgerüsten verborgen.

Wären nicht die brennende Sonne und ewige Hitze, man könnten Stunden verbringen, um die Hunderte oder Tausende von Figuren zu studieren. Da wird gekämpft, geheiratet oder getanzt. Und es wird zuweilen innig geliebt.

Im Dörfchen Thirumeyyam, im trockenen Nirgendwo südöstlich von Tiruchirapaplli, fanden wir unterhalb der Festung auf einem Granitfelsen einen Vishnu-Tempel. Der Gopuram hier ist aus Granit, die Figuren sind mit äußerster Feinheit gestaltet und wurden kürzlich vom Archaeological Survey of India (ASI) restauriert – in allen Details. Der Tempel stammt schon aus dem 7. Jahrhundert, der Gopuram ist später dazu gekommen.

Zur Darstellung des „Himmels auf Erden“ gehört auch eine pralle Erotik, die man sonst in Südindien so nicht findet.
Aber auch ohne die explizite Körperlichkeit sind die südindischen Tempel und ihre Türme Orte von Sinnlichkeit in Formen und Farben. Sie sind zudem – wie in Madurai (Bild unten) – auch gewaltige architektonische Wunder, welche die Silhouette der Städte beherrschen. Der meist Jahrhunderte alte Kern wird von jüngeren Erweiterungen verdeckt. So bleibt uns in Indien der Eindruck historischer Entwicklungen verborgen, die Gleichzeitigkeit von einst und jetzt, aber auch das Nebeneinander von Sinn und Sinnlichkeit überwältigen dafür umso mehr.
