Dallas – Schüsse aus dem sechsten Stock

Schild am Gerichtseingang von Dallas

Der örtliche Football Club heißt zwar Dallas Cowboys, aber wer in den 1980er Jahren seine Fernseh-Sozialisation durchmachte, für den war Dallas eine Stadt von intriganten Ölmillionären und allenfalls Freizeit-Cowboys. Keiner stand dafür mehr als J.R. Ewing, dargestellt von Larry Hagman. Die Fernsehserie schien wie die Stadt: nach Außen glitzernd, ansonsten bis auf die Zähne bewaffnet.

Dallas steht aber auch für eine ganz andere Erinnerung: die Schüsse an der Dealey Plaza am 22. November 1963. Ich war damals neun Jahre alt. Tage später saßen wir bei Nachbarn zur Live-Übertragung aus Washington vorm Fernseher, einer der wenigen in unserem Dorf.

26 Jahre später war ich mit meiner Familie auf der Rückreise aus Bangladesh zu einem beruflichen Termin nach New York unterwegs. Unser 21-Stunden-Flug aus Bangkok kam am Morgen in Dallas an, am gleichen Abend waren wir in Thailand abgeflogen. Nach dem Flug über die Datumsgrenze hatten wir gehörigen Jetlag. Den wollten wir in Dallas ausschlafen, bevor es nach New York weiterging.

Die zupackende texanische Art begegnete uns gleich auf dem Weg zur Mietwagenstation am Flughafen: Wir hatten Unmengen Gepäck dabei und zwei kleine Kinder, die in den Shuttlebus sollten. „All kids‘ stuff“ sagte der Fahrer mitfühlend und half uns beim Einladen, ein Angebot, das wir in unserer Heimat so nicht kannten und unsere müden Glieder dankbar annahmen.

Wir fuhren später in die Innenstadt von Dallas und parkten unseren Wagen hinter dem einstigen Texas School Book Depository. Von dort waren es nur ein paar Schritte über den Rasen zur Straße, an der die Schüsse auf Kennedy fielen. Gebäude und Tatort sind jedem bekannt, aus Spielfilmen und Dokumentationen. Der Verkehr Richtung Interstate floss vor uns ungerührt, aber von hier aus gab am 22.11.1963 die Wagenkolonne Gas, nachdem Schüsse auf den Präsidenten gefallen waren.

Im sechsten Stock des würfelförmigen Gebäudes, einst ein Schulbuchlager, ist ein hervorragendes Museum zum Umfeld der Tat eingerichtet. Das Sixth Floor Museum stellt Hintergründe, Chronologie und mediale Berichterstattung des Attentats dar. Man kann selbst aus dem Fenster an der Ecke prüfen, ob und wie es möglich war, auf die fahrende Kolonne des Präsidenten zu schießen. Es ist eine ausgezeichnet konzipierte Ausstellung zur Zeitgeschichte. Wie bei der Mondlandung 1969 oder am 11. September 2001 so fragen sich viele Zeitgenossen: Wo war ich, als ich am 22.11.1963 die Nachricht aus Dallas hörte.

Das Zentrum von Dallas ist ansonsten eine Ansammlung von Glastürmen mit Parkplätzen. Man kann sich gut vorstellen, wie hier jene Deals geschlossen werden, für die J.R. Ewing von seiner Ranch in die Stadt kam.

Bei meinem letzten Besuch in der texanischen Metropole auf dem Weg zu einer Konferenz in Oklahoma City stieg ich in einem Hotel an der I-35A ab, über die ich am nächsten Tag weiter fahren wollte. Für den basketballbegeisterten Sohn einer Bekannten sollte ich im Mav Gear-Shop nahe dem Heimatstadion der Mavericks ein Trikot kaufen. Das liegt nur unweit der Dealey Plaza. Einen Besuch dort und im Museum konnte ich mir nicht verkneifen, dazu bleibt der Ort zu eng mit meinen Erinnerungen verbunden.

Am Eingang unterhielten sich zwei Frauen: „Is this the place, where it happened?“ fragte die eine ihre Freundin. Auf dem Rückweg zum Hotel fuhr ich am Parkland Hospital vorbei, in welches der schwerverletzte Kennedy gebracht und später für tot erklärt wurde.

Zum Love Field, auf dem die alte Air Force One geparkt war, sind es vom Hospital nur wenig mehr als einen Kilometer. Von hier startete am Abend des 22. November das Flugzeug nach Washington, mit einem Sarg, einer jungen Witwe und einem neuen Präsidenten.