Was machst Du, wenn Dir ein Vulkan ins Wohnzimmer schaut? Nicht irgendeiner, sondern ein überaus aktiver. Sogar einer der gefährlichsten des Landes. Ganz einfach: Du machst ihn zu Deinem besten Freund, wenngleich er zuweilen nervt.
Du gibst ihm ein freundliches Gesicht, zählst, wie oft und wie hoch er dieses Jahr Rauch und Asche spukt und verkaufst Süssigkeiten mit ihm auf der Packung.
So machen es die Einwohner von Kagoshima, der 600.000-Einwohner-Stadt auf der Insel Kyushu im Süden Japans. Ein Hauch von Unterwelt mit dem Geruch von Qualm und Ruß empfängt uns schon auf dem Bahnhof. Kagoshima Chuo ist Endstation der Shinkansen-Linie. Man könnte in gut vier Stunden von hier aus zurück in Osaka oder in sieben Stunden in Tokio sein – für die Strecke Hamburg-Florenz. Die Züge rollen ein, werden gereinigt, die Sitze drehen sich automatisch um und 20 Minuten später geht es zurück auf die Schnellstrecke.
Der Taxifahrer gestikuliert, als ich ihn frage, ob der Vulkan gerade aktiv ist. Dumme Frage, so scheint es: Auf den Autos liegt Staub und die Stadtreinigung hat es aufgegeben, nach jedem Ascheregen die Straßen zu fegen. Und auch die Autofahrer im ansonst metikulös reinlichen Japan haben sich an ihre meist verstaubten Fahrzeuge gewöhnt. Eben nur ein wenig nervig, wenn der Wind vom 8 km entfernten Vulkan in Richtung Westen weht und den Auswurf auf die Stadt verteilt.
Aber die Gefahr ist real, der Sakurajima liegt so nahe an einem Stadtzentrum, wie kaum sonstwo auf dem Planeten. Schulkinder gehen in Gruppen und mit Schutzhelmen zur Schule, Alarmpläne liegen in den Schubladen. Dennoch ertragen die Leute seine Nähe, ja sie nutzen ihn sogar. Im edlen Bahnhof Chuo finden wir ein Restaurant, welches die heißen Kräfte der Unterwelt nutzt, um auf einem hot table aus Lavagestein den Gästen ein Mahl zuzubereiten. Genauer, die Gäste grillen sich ihr Fleich auf dem Lavastein selbst.

Im Hotel erhalten wir ein Zimmer mit Blick auf Meer und Berg. Vor uns ziehen die Fähren und Frachtschiffe zum Hafen von Kagoshima entlang, für die Kapitäne ist der Sakurajima ein Wahrzeichen, wenn sie die Bucht anlaufen. Im Garten des Hotels gibt es einen großen Onsen, vom Vulkan gespeist.
Die Rezeption bietet die Vermittlung eines Mietwagens für Ausflüge an. Am nächsten Morgen – der Himmel ist bedeckt, aber es ist sehr schwül – holt uns ein junger Mann im Hotel ab und bringt uns zu einem regulären Autohaus in der Innenstadt. Es vermietet ab und an Fahrzeuge, sozusagen als Vorführwagen. Weder können wir uns verständigen, noch kann ich das Mietformular lesen. Irgendwie kommen wir überein, dass ich seit fast 50 Jahren einen Führerschein habe und Zuhause einen japanischen Wagen fahre. Das reicht, er gibt mir die Schlüssel und los gehts in den Stadtverkehr von Kagoshima.
Vom Hafen fahren halbstündlich Fähren über die Bucht an den Fuß des Vulkans, die Überfahrt dauert eine halbe Stunde. Schilder zeigen uns den Weg zum Geopark Sakurajima. In einem Ausstellungszentrum erfahren wir alles über den Vulkan, seine Ausbruchsgeschichte und die Überwachung. Im Park kann man die Füße im heißen Wasser baden.

Wir fahren südlich um den Vulkan herum und auf der Küstenstraße am Ostufer der Bucht von Kagoshima entlang. Nur im Rückspiegel erkenne ich, dass der Vulkan gerade wieder „spukt“. Von den anderen Autofahrern achtet niemand darauf.

Die Landschaft des südlichen Kyushu ist vielseitig: Bambuswälder, Rosengärten und kleine Torii-Schreine an der Küste. Der (Links-)Verkehr überaus zivil, die Beschilderung gut. Eine Anregung für uns, bei der nächsten Japanreise auch Mietwagen in die Planung einzubeziehen.
Gegen Abend machen wir uns auf zur Fähranlegestelle in Tarumizu. Wir müssen nicht lange auf ein Schiff warten, das uns auf die andere Seite der Bucht bringt. Die eine Stunde an Bord können wir nutzen, um eine Schale Ramen zu uns zu nehmen.
Die Sonne geht schon unter, als wir uns dem Sakurajima nähern. Er wirft wieder eine Portion Asche aus, wie schon ein paar Mal allein an diesem Tag.
Der Vulkan, Dein Nachbar. Wenn er schon da ist, mach das beste daraus, sagen sich die Einwohner von Kagoshima. Sie leben mit dem „freundlichen“ Monster in ihrer Stadt, bewundernswert. Später lese ich ich, dass eine Partnerstadt von Kagoshima Neapel heißt.