Ein kleines Kyoto-Protokoll

Unser Shinkansen „Hikari 509“ kam von Nagoya aus planmäßig um 13.11 Uhr im Hauptbahnhof von Kyoto an (nicht um 13.12 oder um 13.13 Uhr). Wir checkten im Hotel nahe des Bahnhofs ein und machten uns nachmittags noch auf den Weg. Erstes Ziel am Ostrand der Stadt war der Maruyama-Park mit dem Yasaka-Schrein. An diesem Nachmittag spazierten nur wenige Menschen durch die Anlage aus Toren, Pavillons und Gärten.

Hotelzimmer in Japan sind oft nur weniger als 20 qm groß, aber dafür auch in der Stadt sehr ruhig – und vor allem Hightech. Man schläft mitten in der Großstadt bestens.

Das städtische Verkehrsunternehmen in Kyoto bietet ein Tagesticket an, mit dem wir Busse und U-Bahn benutzen konnten. An den Haltestellen nördlich des gigantischen neuen Bahnhofs fanden wir auf einem Routenplan unser Ziel an diesem Morgen. Den Bus besteigt man durch die hintere Tür. Er brachte uns an den nördlichen Rand der Stadt bis zur Haltestelle Kinkakujimichi. Wir stiegen beim Fahrer aus und zeigten unser Ticket vor, die freundliche Verbeugung für jeden aussteigenden Fahrgast ist unnachahmlich.

Der goldene Pavillon des Kinkaku-ji

Es war ein sonniger Maimorgen mit strahlend blauem Himmel, als wir uns die paar hundert Meter zum Tor des Kinkaku-ji (ji =Tempel) aufmachten. Die Eintrittskarten konnten mit ihren großen Schriftzeichen auf einem weichen Papier schon für sich als Souvenirs gelten. Ganz alleine waren wir nicht, aber der große Garten mit einem See und dem berühmten goldenen Pavillon waren noch in Ruhe zu erkunden, bevor die Armada von Touristenbussen vor der Anlage auftauchte.

Der Kinkaku-ji ist eine der schönsten Sehenswürdigkeiten Kyotos. Aber es sei gleich hinzu gefügt: die Zahl von Tempel, Gärten und Parks in Kyoto ist überwältigend, wie wir in den kommenden zwei Tagen sehen sollten (und wir planen einen zweiten Besuch nach der Pandemie, bei der wir uns allein für Kyoto eine Woche Zeit lassen wollen).

Im Mittelpunkt des Tempelgeländes steht der goldene Pavillon, ein Juwel tatsächlich mit Gold bedeckt. Die Wasserspiegelungen an den Dachvorsprüngen gaben dem aus dem Jahr 1397 stammenden Bauwerk ein unwirkliches Leuchten.

Wir spazierten durch gewundene Pfade im Park herum, ein Farbspiel aus Grün, Gold, Blau. Vor dem Gelände gab es an einem Stand Eis mit Blattgold zu kaufen.

Auf dem Weg zurück in die Stadt trafen wir auf gepflegte Wohnhäuser und stolperten über weitere Tempel und Gärten. An einer Straßenecke fanden wir ein kleines Restaurant mit dem untypischen Namen „Kitchen Papa“ – japanische Atmosphäre, aber „westliches“ Essen. Papa saß übrigens nicht in dem kleinen Gastraum, sondern eine Gruppe Hausfrauen in angeregter Unterhaltung – der japanische Ehemann kommt erst spät abends nach Hause. Viel Zeit also, um sich mit Freundinnen zu treffen.

Abends machten wir uns auf in den Stadtteil Gion, wo man einst eine Geisha als Hostess und Gesprächspartnerin mietete. Heute schlendern Touristen durch die engen Gassen. Wir fanden eine schöne Kneipe am Takase-Fluss für einen Abschluss-Drink.

Unser zweiter Tag in Kyoto begann mit leicht ergrautem Himmel. Wir nutzten unseren Japan RailPass für einen Vorortzug nach Süden bis zum Bahnhof Inari. Von hier strömten an diesem Morgen Touristen und Schulkassen (Japan hatte ein Woche Ferien) zuhauf zum Fushimi Inari-Taisha, einem Shinto-Schrein. Was uns erwartete war eine Orgie in Orange:

Schüler erhielten Unterricht in Shinto-Traditionen, Priester waren mit einer Opfer-Zeremonie beschäftigt. Jenseits des Schreins kletterten die Besucher unter Tausenden von Torii-Bögen den Berg hinan. Ein Waldspaziergang der besonderen Art.

Den Trubel am Shinto-Schrein ließen wir auf dem riesigen und menschenleeren Gelände des Daigo-ji hinter uns. Wir erreichten ihn mit einer kurzen Bahnfahrt bis zur Station Rokujizo und von dort mit der U-Bahn (die bis weit ins Umland reicht) zurück zur Station Daigo. Etwa 500 m Fußweg waren es zum Eingang des buddhistischen Tempels. In dem weitläufigen Park steht das älteste Bauwerk Kyotos, eine Pagode aus dem 10. Jahrhundert – so alt wie der Aachener Dom. Es versteckte sich unter Bäumen.

Im Park waren wir unter uns. Ein Mönch rezitierte mit monotoner Stimme vor einer Buddha-Statue und im Restaurant des Tempels konnten wir zu Mittag essen. Keine Spiritualität ohne einen gefüllten Magen – bei den Miniaturgerichten in winzigen Schüsselchen ist „gefüllt“ allerdings relativ. Ein Genuss in jedem Fall für die Augen. Die U-Bahn brachte uns direkt bis zum Hauptbahnhof zurück.

Es fällt an solchen intensiven Reisetagen schwer, die Eindrücke zu verarbeiten. Die Konzentration von Ästhetik, Spiritualität, japanischer Effizienz und Höflichkeit – ja sogar Ruhe und Ausgeglichenheit mitten in der Großstadt – bleibt in jedem Fall als ein Eindruck zurück.

Müde, aber nicht erschöpft, liefen wir zum Sonnenuntergang noch ein wenig von unserem Hotel in südlicher Richtung und stolperten über die Pagode des To-ji, die von unten angestrahlt wurde. Der Mond ging gerade auf.

Wir fuhren am nächsten Morgen nach Hiroshima weiter. Dort wurde uns angesichts der Katastrophe vom 6. August 1945 klar, dass Kyoto als Ersatzziel vorgesehen war. Neben den menschlichen Opfern wäre dann noch der Verlust eines kulturellen Schatzes für Japan und die Welt hinzu gekommen.