San Andreas: Zu Fuß auf der Verwerfung

Eine der berühmtesten Grenzen auf dem Planeten erfordert keine Passkontrolle. Nur aus großer Höhe lässt sie sich erahnen: Wie ein Strich in der Landschaft zieht sich südlich von San Francisco eine Reihe von Seen und Tälern von Südost nach Nordwest, fast parallel zur Küste. Es ist eine Grenze zweier Kontinentalplatten, benannt nach dem San Andreas Lake (1 in Karte unten). Geologisch eine Verwerfung trennt die San Andreas Fault die Pazifische von der Nordamerikanischen Platte. Los Angeles liegt danach auf einem anderen Teil der Erdkruste als z.B. Sacramento.

Die beiden Platten verschieben sich gegeneinander und erzeugen dabei gewaltige Spannungen. Sie entladen sich zuweilen. So am frühen Morgen Ortszeit des 18. April 1906. Das Erdbeben von San Francisco an jenem Mittwoch vor 95 Jahren gehört zu den größten Naturkatastrophen in den USA. Über eine Länge von fast 500 km verschoben sich die beiden Platten um bis zu 6 m in der Horizontalen.

Wer wie ich ein wenig Zeit vor dem Rückflug aus San Francisco hat, sollte die Gelegenheit nutzen, auf einem Lehrpfad in den Los Trancos Hills westlich von Palo Alto spazieren zu gehen. Dort im Los Trancos Preserve Forest (Lage bei Nr. 2 in der Karte oben) versteckt gibt es einen San Andreas Fault Trail, der sich in einer knappen Stunde erwandern lässt. Aber Vorsicht: nicht im Verkehr des Silicon Valley stecken bleiben und dann das Flugzeug verpassen.

Mein Flug nach Deutschland sollte erst am späten Abend gehen, also ließ ich an jenem Mittag die Skyline von San Francisco hinter mir und fuhr Richtung Palo Alto weiter. Wo der Bayshore Freeway die Page Mill Road kreuzt, bog ich ab und folgte der Straße Richtung Westen. Die Stanford University liegt in der Gegend, heute (in Menlo Park) auch die Zentrale von Facebook und das Hauptquartier von Tesla. Damals passierte ich das von Hewlett-Packard an der Page Mill Road, unterquerte die Interstate 280 und schon begann der Anstieg. Kurvenreich zog sich Straße durch Villengegenden und Wälder die Berge hoch, bis ich eine offene Graslandzone erreichte: den Los Trancos Preserve-Parkplatz.

Am Parkplatz gab es Infotafeln und eine kleine Broschüre für den Lehrpfad (zum Download des pdf siehe oben). Ich startete über den Franciscan Loop Trail, der später im Wald in den Andreas Fault Trail übergeht. Ein Schild warnte vor Klapperschlangen und es raschelte verdächtig im Busch. Ein kleiner Vogel zirpte aufgeregt.

Die Broschüre (im Untertitel eine Self-Guided Earthquke Tour) benennt sieben Stationen, an denen man zur Verwerfung einiges lernen kann. Besonders angetan hatte es mir Station 4: Unter den Bäumen stehen zwei Teile eines alten Zauns, die um gut einen Meter versetzt sind.

Um exakt diese Distanz hatte das Beben vom April 1906 hier die Platten gegeneinander verschoben – und den Zaun gleich mit. Ich stehe genau auf der San Andreas Verwerfung! (die Fotos habe ich mir erlaubt mit einem Vintage-Filter zu bearbeiten).

Spannend ist auch eine offen Fläche in Station 3: Hier konnte man nach dem Beben große Risse im Boden erkennen, die jetzt verfüllt sind. Aber zwei Posten liefern per Lasermessung Daten über die Millimeter der Plattenbewegung: der hintere steht auf der Pazifischen Platte, der vordere auf der Nordamerikanischen.

Messpfosten entlang der Plattengrenze

Nach einer guten Stunde bin ich zurück am Parkplatz. Es ist früher Nachmittag und mein Flugzeug geht erst am späten Abend. Also fahre ich weiter in und über die Berge an die Pazifikküste. Südlich von Half Moon Bay treffe ich auf die berühmte Küstenstraße California No. 1. Ich folge ihr nach Norden, zurück Richtung San Francisco. Nördlich von Montara verläuft die Küstenstraße an einem spektakulären Steilabfall (Nr. 3 in der Karte).

Über dem Pazifik zeigt sich das charakteristische Wolkenbild des kalten Kalifornienstroms vor der Küste. Irgendwo hier verschwindet die San Andreas Verwerfung im Ozean.

In den südlichen Vororten von San Francisco erreiche ich wieder die Interstates Richtung Süden, nach San Mateo und zum Flughafen. Bis zum Abflug nach Deutschland blieb noch Zeit genug, über die San Andreas-Verwerfung und die Erdbebengefährdung in Kalifornien nachzudenken.

Damals gab es noch nicht die Verwerfungen, welche heute die US-Gesellschaft prägen. Es gab noch nicht so verheerende Waldbrände wie heute. Und die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie stellen an Verwerfungen, sozial und wirtschaftlich, alles in den Schatten, was sogar ein Erdbeben bewirken könnte. Dennoch: die Spannungen in der Erdkruste steigen, das große Beben kann jederzeit kommen. Und dann trifft es eine der wohlhabendsten Regionen auf dem Erdball. Auch diese Erschütterungen wären bis zu uns zu spüren.

Ein Gedanke zu “San Andreas: Zu Fuß auf der Verwerfung

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.