„I want to show you the Hermann-the-German monument in New Ulm,“ meinte mein Freund, als wir durch die endlosen Sojafelder im Südwesten Minnesotas fuhren. Njualm hatte er gesagt und ein Denkmal für den deutschen Hermann erschien mir wie ein Missverständnis. Aber wir hatten kaum die Anhöhe zum Tal des Minnesota Rivers erreicht, da bat er mich abzubiegen und zu parken: Vor uns lag tatsächlich eine verkleinerte Ausgabe des Hermannsdenkmals aus dem Teutoburger Wald.
Dieses hier im Mittleren Westen der USA war 1897 eingeweiht worden, nur 24 Jahre nach dem Original. Es sollte den Zusammenhalt der deutschen Einwanderer stärken (Zitat von der Webseite der Hermann Monument Society, eigene Übersetzung): „Die Ressentiments gegen die Einwanderung, die an der US-Ostküste vorherrschten, und der Dakota-Konflikt von 1862 schufen eine starke Bindung, die diese frühen deutschen Siedler vereinte. Jene hart arbeitenden Pioniere schätzten die Möglichkeiten, ihr eigenes Land, ihre eigenen Geschäfte und die Freiheit zu besitzen, die das Leben in Amerika bietet. Es war ihnen jedoch wichtig, ihr Erbe, ihre Sprache und ihre Kultur zu bewahren, während sie sich in ihrer neuen Heimat niederließen. Hermann, ein legendärer germanischer Freiheitskämpfer, symbolisierte Stärke und Einheit für den Orden der Söhne der Hermann Logen in den Vereinigten Staaten.“
Identitätssuche ist im Mittleren Westen der USA (und nicht nur dort) bis heute ein Mittel des politischen und gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die kleine Stadt New Ulm in Minnesota wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von deutschen Einwanderern gegründet. Eine besondere Rolle spielten dabei die Turnvereine in Nordamerika (Turner Societies). Sie unterstützten Siedler dabei, sich an den Frontiers niederzulassen. Eine solche war die Siedlung am Minnesota River, mitten im Land der Dakota/Sioux-Indianer.
Der Bezug zu den Turnvereinen und deren Verfolgung in Deutschland nach 1848 schuf die Basis für eine bleibende deutschstämmige Identität in New Ulm, bis heute. Und sie dient zur Abgrenzung gegenüber „den anderen“, dem liberalen Establishment in Minneapolis oder den Küstenregionen der USA. Diese Abgrenzung wird von der Nachbarschaft, etwa im nahe gelegenen Universitätsstädtchen Mankato durchaus kritisch gesehen. Und ein Bekannter in der Landeshauptstadt St. Paul sprach von „the German Mafia“ in New Ulm, die sogar Einfluss auf die Ernennung eines neuen Bischofs durch den Vatikan hat (damals noch unter Benedikt XVI.). New Ulm ist Bischofssitz der gleichnamigen Diözese.
Die Rolle der Unverstandenen schlägt sich auch in den Wahlergebnissen nieder: Brown County, dessen Verwaltungssitz das 13.000 Einwohner zählende New Ulm ist, gab 2016 und 2020 jeweils zwei Drittel seiner Wählerstimmen an Donald Trump – im ansonsten eher liberalen und demokratisch dominierten Minnesota.

Bei meinem Besuch fuhren wir von den Hermann Heights hinunter in die Stadt, die sich wie ein Gitternetz parallel zum Fluss erstreckt. Hauptachse ist, wie könnte es anders sein, der Broadway. Hier reihen sich neben den uniformen amerikanischen Ketten viel kleine Einrichtungen und Geschäfte aneinander, die stolz deutsche Begriffe verwenden.
Ansonsten ist New Ulm nach Außen ein typisches Städtchen im Mittleren Westen. Es sind die Vereine und die Feste, welche die deutsche Tradition prägen. Dazu gehört auch die Schell Brauerei (https://schellsbrewery.com), deren Geschichte eng mit dem Aufstieg New Ulms verbunden ist und deren Biere eine überegionale Bedeutung haben.
Ein historisches Ereignis aber hat besondere Bedeutung für das Selbstverständnis der Bürger von New Ulm: Der Dakota-Krieg von 1862. Die Indianer der Dakota/Sioux-Stämme waren von Landnahmen der Siedler immer weiter zurück gedrängt worden, ihre Reservate boten keine ausreichenden Überlebensmöglichkeiten. Im August 1862 griffen Dakota die Siedlungen im Minnesota-Tal an und belagerten schließlich New Ulm. Dabei brannten große Teile der Siedlung nieder, 34 Menschen kamen ums Leben. Die Überlebenden mussten zeitweise fliehen. Vor dem Brown County Museum https://www.browncountyhistorymn.org/ steht ein Gemälde, welches das Drama von 1862 darstellt.

Aus der Zeit vor 1862 ist nur noch das Kiesling House erhalten. Ein Besuch im Museum lohnt, wird hier doch lokale und Weltgeschichte in der Spiegelung einer kleinen Stadt im Mittleren Westen der USA dokumentiert.
Das Trauma von 1862 und die Tradition des Vereinswesen, hervor gegangen aus den Turnvereinen, hat in New Ulm zu einer deutschen Identität geführt, die in der Nachbarschaft suspekt betrachtet wird.
Aber sie verbindet die New Ulmer untereinander. Als ich sage, ich käme aus Deutschland, wurde das freundlich, dennoch etwas distanziert kommentiert. Das Deutschland von heute ist nicht so wie die Zeitkapsel des 19. Jahrhunderts, die sich in New Ulm erhalten hat. Aber für die Leute dort ist das ihre „Heimat“.
Weitere Informationen (Links):
https://www.legendsofamerica.com/mn-dakotawar/
https://en.wikipedia.org/wiki/Dakota_War_of_1862
https://en.wikipedia.org/wiki/New_Ulm,_Minnesota
Turnhalle New Ulm -Geschichte