Es ist noch dunkel am Startpunkt der Elephantensafari. Im Morgennebel sind die Umrisse der Dickhäuter kaum auszumachen, aber die Befehle der Mahuts dringen zu uns rüber. Mein Begleiter Sajid hat mich heute um 4 Uhr morgens in einer Lodge am Rande des Kaziranga-Nationalparks wecken lassen. Ich nehme meine Kameratasche und eine leichte Jacke, es ist ziemlich frisch in Assam an einem Novembermorgen. Wir fahren mit einem Jeep zum Haupttor des Parks, lassen unsere Zugangsberechtigung prüfen, und folgen unserem Scheinwerferkegel auf einem Feldweg weiter zum Treffpunkt.
Inzwischen haben die Mahuts die Elefanten so um eine Plattform gruppiert, dass wir alle bequem „aufsteigen“ können. Ein leichter Morgenschimmer dringt durch den Nebel, als sich die kleine Karawane in Bewegung setzt. Einige Muttertiere haben ihre Jungen dabei und nutzen die Safari durchs Gras für das „Elefantenfrühstück“.
Es ist absolut still, nur das Kauen der Elefanten ist zu hören. Die Tiere wiegen uns durch das sumpfige Grasland. Wir tauchen immer tiefer ins Gras ein, bald ragen nur noch die Touristen daraus empor, wie auf Booten in einem grünen See. Und dann bleiben wir stehen, die Mahuts geben sich Handzeichen oder murmeln dem Nächststehenden etwas zu: Im Nebel taucht ein Rhinozeros auf, ein älteres Tier, das uns scharf beobachtet aber wohl weiß, dass wir keine Gefahr sind (es hat Fälle gegeben, bei denen Nashörner Elefanten angegriffen haben).
Wenig später entdecken wir ein weiteres Tier, das sich in einem sumpfigen Teich versteckt. Unsere Elefanten nähern sich ihm vorsichtig. Beide Großtierarten begegnen sich im Park häufiger und leben Seite an Seite, wir wir später am Tag noch sehen werden.
Der Kaziranga-Nationalpark ist einer von mehreren im Brahmaputra-Tal, wo es noch Nashörner gibt. Sie sind sogar zum Wahrzeichen des Bundesstaates Assam geworden, der bei uns vor allem durch seinen kräftigen Flachlandtee bekannt ist.

Am Südufer des Brahmaputra, gut fünf Fahrstunden östlich der Hauptstadt Gauhati (oder Guwahati) gelegen, erstreckt sich der 430 km² große Park, der schon vor über hundert Jahren in britischer Kolonialzeit zum Schutzgebiet ernannt wurde. Seit 1985 ist er sogar Teil des UNESCO-Welterbes. Im Süden wird der Park von der Nationalstraße begrenzt, die sich hier stolz AH 1 (Asia Highway Number One) nennt und von Istanbul bis Tokio reichen soll. Der ganze Park wird in den periodischen Hochwassern des Brahmaputra berschwemmt, Fluch und Segen des Monsuns. Dann retten sich die Tiere über die Straße in das Hügelland südlich des Parks. Auf der Nationalstraße gibt es spezielle Animal Crossing Points, an denen Parkwächter von Fall zu Fall den Verkehr stoppen (es gibt spektakuläre Bilder von Elefantenherden und Rhino-Familien auf der verkehrsreichen Straße; zu finden ist jener Wildwechsel der besonderen Art auch auf YouTube).
Bei unserer Safari wird es langsam hell. Wir beobachten noch eine Herde von Rotwild, bevor wir den Elephant Disembarkation Point erreichen, wo uns unsere Fahrer erwarten.
Es geht zurück in die Lodge, als die Sonne am Himmel steht und das geheimsvolle Grau langsam einem blauen Himmel weicht. Pünktlich zum Frühstück bin ich zurück im Hotel. Eine Gruppe von Bird Watchers bricht gerade zur Tagestour auf, so habe ich den Speisesaal und das Personal für mich. Für den Nachmittag habe ich mich mit Sajid zu einer weiteren Tour, diesmal per Jeep durch den Park verabredet. Aber jetzt genieße ich Kaffee, Toast und Spiegelei.
Das Wild Grass Resort stammt aus den 1930er Jahren und ist ein ausgedehnter Gebäudekomplex unter Bäumen. Von einem Haupthaus gelangt der Gast in verschiedene Annex Buildings, alles ist aus dunklem Holz und hat eine nostalgische Atmosphäre. Ich denke an britische Großwildjäger mit Tropenhelm, die hier Stories von der Tigerjagd zum Besten geben.
Plötzlich kommt der junge Mann vom Servicepersonal herein: „Come, come. Wanna see the bird?“ Ich lasse mich ungern beim Essen stören und Vögel sind nicht mein allergrößtes Interesse. Aber er ist ganz aufgeregt: Ich soll auf die Terrasse kommen, er bringe den Kaffee nach. Ich lasse noch meine Kamerausrüstung am Tisch zurück, weil ich nichts erwartete. Das war nicht gut, denn nur weniger als 20 Meter von der Terrasse genoss ein Pärchen Nashornvögel die Früchte an einem Baum. Sie sind äußerst selten und ganze Bird Watcher Tours sind unterwegs, um diese Tiere zu beobachten. Hier saßen sie vor mir beim Morgenkaffee. Ich konnte die Kamera noch holen und mit einem 200 mm Tele, umständlich aufzuschrauben, einige Fotos machen.
Übrigens, beim Abendessen frage ich einen der Bird Watchers: einen Nashornvogel hatten sie heute leider nicht gesehen.
Nach einem ausgiebigen Mittagsschlaf holt mich Sajid wieder an der Lodge ab. Wir haben einen Jeep gemietet, der uns auf eine Runde durch den Park fahren soll. Aber jetzt benötigen wir Bargeld, auch mein Begleiter ist in „Geldnot“. Wir fahren Richtung Osten alle ATMs (Bargeldautomaten) ab, die wir finden können. Endlich gelingt es Sajid, eine Bankfiliale ausfindig zu machen, wo er von seinem privaten Konto Geld abholen und ich ganz regulär Euro cash tauschen kann. Eine handgeschriebenes Schild weist auf die Beschränkungen hin: Er holt 10.000 Rupien ab, 3 x 2000er Scheine, der Rest als Münzgeld, alles funkelnagelneu aus der Presse.
Problem gelöst, zurück geht es zum Parkhauptquartier, wo wir auf einen speziellen Safari-Jeep umsteigen. Und schon queren Rhinos den Straßendamm, Vögel und sonstiges Wild genießen den herrlichen sonnigen Nachmittag, Traumwetter. Kurz vor Ende der Tour gibt es eine Aufregung: Eine Elefantenkuh hat den vor uns fahrenden Jeep bedroht, der Fahrer war sichtlich in Panik (seine Fahrgäste weniger). Vorsichtig fahren wir im Doppel um eine Kehre und preschen an den Elefanten vorbei. Die drehen sich um, aber haben zum Glück keine Lust uns zu verfolgen.
Zurück beim Dinner im Hotel tauschen die Gäste ihre Erlebnisse aus. Ein junges indisches Paar zeigt mir ein Foto, welches sie tagsüber aufgenommen haben: Ein Tiger spaziert im hellen Sonnenlicht über den Weg im Park. Auch die Raubkatzen wissen einen schönen Tag zu schätzen.
Tags darauf fahre ich nach Gauhati zurück und fliege weiter nach Delhi und zurück nach Deutschland. Hier empfängt mich der triste deutsche Spätherbst. An den dunklen Abenden vor Weihnachten träume ich von Elefanten, Nashörnern und Nashornvögeln.
P.S.: Ich habe über die Erlebnisse in Kaziranga einen kurzen Film (ca. 8 Minuten) hochgeladen.
Der erste Teil dieser Reise ist im vorhergehenden Post beschrieben: