High Noon am Borobodur

„Buddha … ist eine historische, als Person erloschene, nicht mehr ansprechbare Gestalt. Er ist der Offenbarer des Gesetzes, nachdem sich Wiedergeburt und Erlösung vollziehen, und er hat den Weg gewiesen, auf dem jeder Mensch für immer die Befreiung vom Leiden auf dieser Erde erreichen kann.“

Zitiert aus Peter Cirtek: Borobodur. Geburt eines Universum. 2016 Hamburg (Monsun Verlag)

Der Borobodur auf der indonesischen Insel Java ist das größte buddhistische Heiligtum der Welt. Und obwohl über 1200 Jahre alt und im 19. Jahrhundert unter Vulkanschutt und Gestrüpp erst wieder entdeckt, ist seine Bedeutung immer noch ein großes Rätsel. Wir haben uns im Sommer 2019 auf eine Entdeckungstour in diesen Kosmos begeben, und entdeckten zwei gegensätzliche Welten.

Mit meinem Sohn, der aus Indien mit einer Odyssee über Chennai, Singapur und Jakarta anreiste, hatte ich mich in Yogyakarta verabredet. Wir mieteten uns ein Taxi mit kundigem Fahrer. Nach einer guten Stunde Fahrt bog er von der Hauptstraße nach Magelang links ab. Sein Tipp war es, an einem Souvenirgeschäft unterwegs die Eintrittskarten zu erwerben, die uns das lange Warten am Haupteingang ersparen sollte. Ein Schurke, wer Schlechtes dabei denkt. Aber es klappte und wir erreichten nach wenigen Minuten einen Parkplatz.

Wenn wir Einsamkeit und Ruhe zur Kontemplation erwartet hatten, so wurden wir eines besseren belehrt. In Indonesien waren Sommerferien und Gruppen, Familien und junge Paare hatten sich heute den Borobodur als Ausflugsziel vorgenommen. In der mit Schirmen gegen die Sonne, bunten Kopftüchern und mit Handy zu unentwegtem Selfie-schießen bewaffneten Menge begaben wir uns zur ersten Terrasse (die „Sphäre der Begierden“). Ein Schild wies in Bahasa Indonesia und Englisch daraufhin, dass die Besucher in buddhistischer Tradition die verschiedenen Ebenen („Galerien“) in Uhrzeigersinn umrunden sollen, bevor sie die nächste Ebene betreten. Wir folgten diesem Rat und konnten die abertausenden Steinreliefs mit Darstellungen aus dem Leben und Wirken des Erleuchteten tatsächlich recht ungestört betrachten. So arbeiteten wir uns über die vier Galerien in jener „Sphäre der Verkörperungen“ nach oben.

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Erst als wir die „Sphäre der Körperlosigkeit“ mit drei Rundterassen unterhalb der Hauptstupa erreichten, fanden wir uns zwischen den in allen Posen sich fotografierenden Mitbesuchern wieder. Von hier oben hat man einen schönen Blick auf die Felder, Wälder und Hügel der Umgebung. Der Merapi-Vulkan war im Mittagsdunst nicht zu erkennen, auch wenn er wohl zur Lage des Borobodur eine große Rolle spielt. Zwischen den Stupas saßen entspannte Besucher wie bunte Schmetterlinge auf einem Steinhaufen.

Trotz der Mittagszeit unterm Äquator war es erstaunlich erträglich, Juli ist Trockenzeit auf Java, der Zenitstand der Sonne und damit die große Hitze sind 20 Breitengerade weiter nördlich. Wir umrundeten alle drei Rundterrassen wie vorgeschrieben, aber ein ruhiges Plätzchen zur Kontemplation oder auch nur zum Genuss der Aussicht war hier nicht zu finden.

Vielleicht wäre der Borobodur ohne die einheimischen Touristen ein eindrucksvolles, aber lebloses Objekt, Spiritualität aus der Vergangenheit, kulturelles Erbe auf einer an wechselvollen Kultur nicht armen indonesischen Insel. Der riesige Inselstaat ist heute eine emerging economy, in der sich immer mehr Menschen leisten können, das Erbe der Vergangenheit zu besuchen und vielleicht – zwischen all den Instagram-Selfies – auch zu würdigen. Im Übrigen, außer in Indien ist z.B. das Ramayana nirgendwo so populär wie im überwiegend islamischen Indonesien.

Ein ganz klein wenig hatte ich den Verdacht, dem Erleuchteten wäre die bunte Schar am Borobodur durchaus willkommen. Denn den schon Bekehrten muss er nicht mehr predigen. Und mit Sonnenuntergang haben die Buddhas und Stupas den Sternenhimmel für sich allein.

Literatur:

Peter Cirtek: Borobodur. Geburt eines Universum. 2016 Hamburg (Monsun Verlag)

Borobodur bei Wkipedia (Englisch)

 

Weitere Blogbeiträge zur Javareise Juli 2019:

„Ein trügerisches Paradies an der Sunda-Straße“

„Bromo viert“

„Wiedersehen mit Suroto“