Ach, die EU …

„Ein bürokratisches Monster, das Bananen und Gurken normiert.“ „Wir werden von Brüssel regiert.“ „Die haben’s vergeigt, Briten, Israelis und die Amis sind uns beim Impfen voraus.“ Das sind nur einige der Urteile, welche über die EU abgegeben werden, derzeit zuhauf.

Gebäude der EU-Kommission

Alles, was die EU an exekutiver Macht vereint, sitzt im Berlaymont-Gebäude. Und das hat für 450 Millionen Bürger weniger Bürofläche als etwa die Ministerien des Saarlandes für eine Million. Wenn man die Sicherheitskontrollen passiert hat und im Lift in obere Stockwerke fährt, ist der Eindruck eher der eines durchschnittlichen Finanzamtes denn einer supranationalen Superbehörde.

Von hier aus hat z.B. Michel Barnier mit einer Handvoll Mitarbeiter für uns alle den gesamten Brexit verhandelt und dabei exzellentes Management nach Innen, an die 27 verbleibenden Mitglieder gezeigt. Mehr noch, sein Verhandlungsgeschick (und die Blauäugigkeit der Gegenseite in London) haben bewirkt, dass der EU-Binnenmarkt unbeschädigt bleibt, Nordirland ihm weiterhin angehört und Westminster eine Zollgrenze innerhalb des Vereinigten Königreiches akzeptieren musste. Barnier ist für mich der Inbegriff des galanten und zugleich kompetenten „Bürokraten“, mit Diplomatie und Verhandlungsgeschick, Zähigkeit und gekonnter, aber unaufdringlicher Außendarstellung, der ein Geld wahrlich verdient.

Schirme in Gent, so bunt wie die EU-Kommission

Die Kommission, das Kabinett der EU, ist ein personelles Gemisch zwischen Funchal, Varna, Cork, Vilnius, Catania und Tampere. Das hat Vorteile zur Integration, irgendwie fühlen sich alle vertreten. Hat sicher auch den Nachteil einer wenig schlagkräftigen Truppe. In meiner Tätigkeit für das UN-Entwicklungsprogramm im Dhaka-Büro habe ich erfahren, wir ungewohnt, aber auch wie aufschlussreich die Zusammenarbeit von unterschiedlichen Kulturen und Nationen unter dem gemeinsamen Dach einer internationalen Bürokratie ist: viele Regeln, viel Gegenkontrolle, viel Umständlichkeit, aber auch viel Transparenz und Berechenbarkeit.

Dass eine solche Behörde aus Brüssel im vergangenen Sommer mit Big Pharma über Impfdosen für alle 27 Staaten verhandeln musste, als nicht einmal absehbar war, dass es vor Jahresende eine zugelassene Impfung gibt, dabei Transparenz von Preis und Liefermengen vor einem Rechnungshof einhalten musste, hat zugegeben deren Grenzen aufgezeigt.

Die Alternative, jeder für sich, Gott für uns alle, möchte ich mir in einer EU, in der Malta so viel politisches Gewicht hat wie Frankreich, nicht ausmalen. Vor allem aus London kommen hämische Kommentare von einer Regierung, der bislang 125.000 Tote nicht viel anhaben konnten und die – von wegen „es geht um Leben und Tod“ – bis dahin keinen großen Wert auf Vorbeugung und Schutz gelegt hatte. Über die internationalen Medien wird dieses Narrativ verstärkt, die EU steht als lahm und unflexibel da. Seit wann wird der gelobt, der als Erster ins Rettungsboot springt und vom havarierten Schiff davon rudert? Ein Wettlauf um „Impfungserster“ ist übrigens zwecklos, wenn nicht auch der letzte über die Ziellinie läuft.

Ich ziehe die reguläre und daher langwierigere Zulassung über die EU-Agentur EMA in Amsterdam der adhoc („Notfall“-) Zulassung vor. Die Briten haben am lebenden Patienten experimentiert. Die so gewonnenen Daten wurden dann in Deutschland in die Zulassung von AZ (AstraZeneca) für über 65-Jährigen einbezogen. Es ist wohl noch einmal gut gegangen, aber Russland hat ähnlich gehandelt und wurde dafür kritisiert.

Ich bin mit der zweiten Person in unserem Haushalt eine Wette eingegangen: Am 1. Juli sind wir geimpft und haben einen elektronischen Nachweis darüber.

( 25.6.2021  ) Impfung erfolgt                 ( 25.6.2021  ) Impfnachweis liegt vor

Die zweite Person hat an jenem Tag Geburtstag, es wäre eine schönes Extrageschenk. Liebe Leute von der EU: hängt Euch rein, liefert das Versprochene ab und seht zu, dass auch in Cluj, Krakow, Bilbao, Cagliari und Las Palmas alle geimpft sind.

Wette gewonnen!

Eine gute Analyse in diesem New York Times Artikel:

How Europe overtook the U.S.  Thew New York Times, 30 July 2021