Mein Himalaya-Trek: Die Tour im Dreiländereck Westbengalen, Sikkim und Nepal fand im März 2009 statt, zu einer Zeit, als Knochen und Gelenke noch besser mitmachten.

Ausgesucht hatte ich mir die Zeit noch vor der ganz großen Hitze im April/Mai und dem Einsetzen der Regenzeit im Juni. Im März 2009 flog ich über Delhi nach Bagdogra. Am Flughafen unten in der Ebene holte mich Depen (gesprochen Dipän) ab, mein Guide für die 7-tägige Trekkingtour im Singalila Nationalpark, die ich vom 24. bis 30. März geplant hatte. Depen ist 32 Jahre alt und Vater eines kleinen Sohnes von zwei Jahren. Er arbeitet als Freelancer eines Veranstalters in Darjeeling, ich hatte ihn schon bei einer Gruppenreise drei Jahre zuvor kennen gelernt. Vier Fahrtstunden trennen Bagdogra von den kühlen 2200 Höhenmetern Darjeelings. Mein Hotel lag oberhalb der Stadt am Berghang, vom Zimmer aus hatte ich einen grandiosen Blick auf den Wohnsitz der Götter. Ich konnte nicht ahnen, dass meine Tour „of moderate difficulty“ (so die Broschüre des Veranstalters) zu einem Kampf mit Wetter und Höhenkrankheit wurde. Aus einer Bergtour wurde damit ein Abenteuer, das so gar nicht eingeplant war.
Erster Tag: 12 km von Maneybhanjang nach Tumling – Trek mit Blitz und Hagelsturm
Ich hätte es doch ahnen können: Als ich gestern auf der Bazarstraße von Darjeeling Depen traf und ihn fragte, was ich noch an Ausrüstung benötige, empfahl er mir einen Regenschirm einzupacken. Himalaya-Trekking mit Schirm? Das wäre mir am wenigsten in den Sinn gekommen: Rucksack, Schlafsack, Trekking-Schuhe, Taschenlampe und dergleichen, all das war besorgt. Ich trank nachmittags einen Tee auf der sonnenbeschienen Terrasse eines Restaurants, am Horizont noch zu erkennen die Umrisse des Kanchenjunga. Am Nachbartisch hörte ich junge Trekker erzählen, dass es „vergangene Nacht in Sandakphu geschneit habe“ – ein weiteres Warnzeichen, das ich in der Vorfreude auf die Tour ignorierte.
Jedenfalls scheint heute die Sonne, als mich gegen 10 Uhr ein Jeep abholt. Depen stellt mir einen schmächtigen jungen Mann vor, Mohun, der in den kommenden Tagen meinen Rucksack und einen Teil der Ausrüstung trägt. Wir fahren die Straße bis Ghoom und biegen dort nach Westen runter ins Tal ab. Unterwegs steigt ein weiteres Teammitglied zu: Lhakpa. Er ist ein Sherpa und wird auf der Tour für die Verpflegung zuständig sein. Lhakpa lädt noch Lebensmittel ein und weiter geht’s bis Maneybhanjang. Die kleine Siedlung auf einem Bergsattel ist das Tor zum Singalila Nationalpark. Der Fahrer setzt uns an einer Straßengabelung am Ortsende ab, wo ein Schild nach Sandakphu („31 km“) zeigt.



Während Mohun und Lhakpa noch Besorgungen machen, beginnen Depen und ich den Aufstieg Richtung Tonglu. Die Straße ist steil, aber geteert und führt in enge Serpentinen den Hang hoch. Erste Rast ist in Hawk’s Nest, eine Teepause. Wir sind jetzt auf einem Plateau angelangt, die Steigungen weniger steil und der letzte Rest von Koniferen-Wald ist verschwunden. Ab und an sieht man Stupas und Gebetsfahnen. Lhapka und Mohun haben noch einen Schock Eier gekauft, von nun an gehört die Schachtel zum Trekking-Handgepäck – angesichts der Stolperfallen auf den Pfaden eine belustigende Vorstellung. Später weiß ich die Vorzüge eines frischen Omletts in der klammen Kälte der verschiedenen Hütten unterwegs mehr als zu schätzen. Die beiden sind voraus geeilt. Wir machen nach einer Stunde eine späte Mittagsrast in Meghma, mit einer Gemüsesuppe in der guten Stube einer Hütte. Die Bewohner sind nicht Zuhause, aber wohl Anhänger Buddhas. Vor einer Figur des Erleuchteten stehen Schälchen mit Opfergaben.

Kaum bemerkt habe ich, dass die Sonne inzwischen verschwunden ist. Als wir wieder aufbrechen, haben dunkle Wolken den Nachmittag in Dämmerlicht verwandelt. Gerade als wir auf einem freien Grat wandern, brechen Hagel, Donner und Blitze über uns herein. Die Schirme können nicht verhindern, dass die Hosen klitschnass werden und die Schuhe ebenso. Das aber besorgt mich weniger. Depen marschiert im Hagelsturm voraus, als wäre es das normalste der Welt. Blitze schlagen in unmittelbarer Nähe ein, dazu ohrenbetäubend der Donner. Ich möchte mich am liebsten in einen Graben werfen. Zum Glück geht der gefährliche Spuk schnell vorbei, aber die Sonne bleibt verschwunden. Erst kurz vor Dunkelheit erreichen wir die Trekkerhütte in Tumling. 12 km haben wir am ersten Tag zurück gelegt. Zusammen mit anderen Durchnässten trocknen wir uns am Kaminfeuer, während Lhapka ein Abendessen vorbereitet, das wir gemeinsam mit anderen Trekkern in einem großen Essraum einnehmen. Ich habe eine kleine Schlafkammer an der Rückseite des Hauses, das Bett ist ein Brett ohne Matratze. Ich schlafe die erste Nacht im neuen Schlafsack.
Zweiter Tag: 19 km von Tumling nach Sandakphu – Nebel, Regen und ein Schneesturm in der Nacht
Die erste große Tagesetappe steht bevor: 19 km nach Sandakphu, von rund 2500 auf 3600 Höhenmeter. Ich bin früh wach und schlage Depen vor, so zügig wie möglich loszuziehen. Immerhin scheint die Sonne ein wenig. Die Entscheidung stellt sich am Abend als Glücksfall heraus.
Während wir auf dem kahlen Grad nach Norden wandern, packen Lhapka und Mohun das Gepäck und überholen uns später. Das bleibt Ritual für die restlichen Trekkingtage. Links geht es runter in den Ilam-Distrikt von Nepal, rechts lassen sich Höhenzüge von Westsikkim erkennen. Es dauert nicht lange, bis der erste Regenguss einsetzt, zum Glück ohne Blitzschlag. Wir passieren eine Siedlung, die schon in Nepal liegt, in Dorfmitte parkt ein Landrover aus dem 1940er Jahren – ein unverwüstliches Gefährt aus der Kolonialzeit. Wir biegen rechts ins Tal ab, lassen eine indische Armeestation am Wegesrand liegen. Ab jetzt muss ich öfters meinen Pass an einsamen Posten der Armee vorzeigen und mich in Streckenbücher eintragen. Es geht wieder steil bergan, durch neblige Wälder. Ab und an ein Regenschauer. Es wird schon dämmrig, als der letzte Anstieg Richtung Sandakphu beginnt. Irgendwann liegt Schnee auf dem Weg und wir treffen auf einen Lastwagen der Armee, der schon tagelang festliegt. Zwei Soldaten, drahtige Burschen, überholen uns später mit leichtfüßigem Gang und mit nichts anderem ausgerüstet, als mit einem lebenden Huhn unterm Arm. Frisch fürs Abendessen. Es ist stockdunkel als wir im rutschigen Schnee die letzte Steigung vor den Schutzhütten erklimmen, ohne Taschenlampe wäre eine Orientierung unmöglich.
Depen, Lhakpa und Mohun geleiten mich in eine der Trekking-Hütten (bei Tageslicht sehe ich, das Sandakphu eigentlich sogar ein ganzes Hüttendorf ist). Ich habe wieder einen Schlafplatz für mich allein. Mohun stellt einen Eisenkessel mit glühender Holzkohle neben mein Bett. Ich muss eingenickt sein, denn plötzlich wache ich auf, weil Schneekristalle durchs Fenster auf mein Gesicht wehen. Draußen tobt ein ohrenbetäubender Sturm und ich wundere mich, wo wohl die Trekker geblieben sind, die Tumling nach uns verlassen haben. Jetzt noch draußen zu sein, eine Horrorvorstellung!

Im Raum nebenan haben Lhakpa und Mohun das Abendessen bei Kerzenschein serviert: Suppe, Gemüse, Chapatti, süßen Tee – alles im tosendem Schneesturm aus der Küchenhütte rübergebracht. Ich ziehe mich früh zurück, wechsle die Koje weiter ins Innere meines Zimmers und hantiere mit Kerze, Taschenlampe und dem Rucksack auf einem Stuhl. Es ist eisig und ich beschließe mich im Schlafsack für die Nacht umzuziehen und so die Klamotten warm und trocken zu „lagern“. Das Haus wackelt im Sturm, ab und an hört man die Stimmen ankommender Trekker. Der Schlafsack hält mollig warm, aber Schlaf kommt immer nur in kurzem Takt.
Dritter Tag: 21 km von Sandakphu nach Phalut – Morgensonne mit Pulverschnee und 8000ern
Irgendwann muss der Sturm aufgehört und ich tief geschlafen haben. Jedenfalls klopft Depen an die Tür und ruft: „Get up and come out!“ Es ist 6 Uhr morgens, ich ziehe mich schnell an und renne ins Freie: Klare Luft, blauer Himmel, die Sonne ist gerade aufgegangen, pulvriger Schnee bedeckt Hütten und Landschaft, als wäre es ein Wintermärchen in Tirol. Die Kälte hier in über 3600 m Höhe spüre ich vor Aufregung gar nicht mehr. Am Horizont im Westen zeigt mir Depen die Gipfel aller Gipfel: Makalu, Lhotse und – an der Schneefahne erkennbar – der Mount Everest. Mehr als 100 km Luftlinie sind es zu den Bergriesen, aber sie sind gut auszumachen.

Wir machen schnell eine Runde durch die verschneite Siedlung, ahnend, dass die Witterung angesichts der vergangenen Tage schnell umschlagen kann. Nach dem Frühstück ziehen wir los, weiter nach Norden: Bis zur nächsten Station, Phalut, sind heute 21 km zu bewältigen, bei etwa gleichbleibender Höhenlage. Der Weg windet sich aus der Siedlung, auf dem Pulverschnee läuft es sich wie auf einem Teppich. Wir kommen gut voran, die Silberfichten geben der Landschaft einen alpinen Anschein. Depen hört mit dem eingebauten MP3 Player auf seinem Handy Bollywood-Filmmusik und marschiert immer ein paar Dutzend Meter voran. Vor uns müsste das Massiv des Kanchenjunga aufragen, aber es bleibt von Wolken verhangen. So lange die Sonne durchscheint, ist der Trek ein Spaß. Aber das wird sich bald ändern.

Gegen Mittag wird es wärmer, feuchter Nebel zieht auf. Der Schnee wird nass und schwer, das Gehen verlangt viel mehr Kraft als in der Früh. Eine Yak-Herde kreuzt den Weg, unvermittelt taucht sie aus dem Nebel auf. Eine Trekkinggruppe aus Tirol macht Rast am Wegesrand, Picknick im (Nass)Schnee. Nach unserer Mittagsrast wird der Nebel immer dichter und legt sich wie Blei aufs Gemüt.

Der Atem wird kürzer und ich muss immer häufiger Rast machen. Wir kommen daher wieder im Dunklen in der Trekkinghütte von Phalut an. Es regnet jetzt, der aufkommende Sturm aber wird nicht mehr ganz so stark. Meine Kurzatmigkeit hört nicht auf, auch nicht beim Abendessen. Und auch nicht zum Einschlafen, das Herz schlägt so schnell, dass an Schlaf nicht zu denken ist. Jedenfalls kommt es mir so vor und ich sehne den Morgen herbei. In der Nacht überlege ich, wie ich es wohl aus diesem äußersten Winkel im Grenzdreieck Nepal, Westbengalen und Sikkim zurück in die Zivilisation schaffen kann.
Vierter Tag: 15 km von Phalut nach Gorkhey – Regen, Nebel und Atemnot
Am nächsten Morgen hat sich die Kombination von Regen, Wind und Nebelfetzen nicht merklich verändert. Immerhin, die trübe Helligkeit reicht schon aus, um Kraft für den Tag zu gewinnen. Wir frühstücken in der Küchenhütte, es ist gut gewärmt und Lhapka hat sogar Toast organisiert und einen Pfannkuchen gebraten. Plötzlich kommt ein hoch aufgeschossener Trekker rein, sein „Good morning“ klingt verdächtig Deutsch. Es stellt sich heraus, er ist ein 29-jähriger Sozialpädagoge aus Lörrach, mit vielerlei Trekking-Erfahrung rund um den Erdball. Sein Guide sei ein Schuft meint er: Die gebuchte Fünf-Tage-Tour könne man locker in drei Tagen bewältigen. Bei dem Wetter wolle er sich heute auf den Rückweg machen, es bleibe dem Guide freigestellt ihm zu folgen.

Mein Guide hingegen nimmt mich vorsichtig ins Gebet. Depen ist sich sicher, das mein schnelles Atmen ein Anzeichen von Höhenkrankheit ist. Wir sollten die Tour um eine Etappe abkürzen und heute auf unter 3000 m absteigen. Er schlägt als Ziel die Siedlung Gorkhey auf rund 2300 m Höhe vor, eine Etappe von 15 km. Keine Einwände von mir. Wir machen uns auf, wieder im nassen Schnee und einer Sicht von 10 Metern.
Es geht bergab, wir passieren erneut einen Armeeposten samt Passkontrolle. Und dann lichtet sich der Himmel, genauer: wir verlassen die Wolkendecke und tauchen in einen lichten Wald ein. Steile Biegungen führen nach unten, aber das kostet keine Kraft. Unterhalb von 3000 m liegt kein Schnee mehr, das Gehen wird immer leichter. Und als wir die letzten Meter aus dem Wald auf die Feldterrassen der kleinen Siedlung „rutschen“, kommt mir Gorkhey vor, wie ein Außenposten der Zivilisation. Unten im Dorf eine kleine, neugebaute Hütte – für mich ganz allein. Ein vergleichsweise bequemes Bett, ein eigenes kleines Bad, mit Toilette, ein Eimer gefüllt mit Wasser, Waschbecken und alles weiß gefliest. Reinster Luxus. Es ist früher Nachmittag, aber ich schlafe durch bis zum Abendessen, und danach weiter – tief und fest.
Fünfter Tag: Erholung in Gorkhey
Depen schlägt vor, die nächsten 24 Stunden hier in Gorkhey auszuruhen. Ich fühle mich schon nach der ersten Nacht wie neugeboren – es war also Höhenkrankheit. Lhapka meint später auf der Tour, der Nebel schlage nicht nur aufs Gemüt, er beschleunige auch das Auftreten der Krankheit. Wir gehen ein wenig durchs Dorf spazieren. Die Bauern pflanzen auf mühsam angelegten
Hangterrassen Kartoffeln und Gemüse für den Markt in Darjeeling an. Alles muss auf dem Rücken zur Siedlung Rimbik transportiert werden, 25 km entfernt. Dort gibt es auch Arzt, Apotheke, Post und Bank. Nur bis dort kommen Autos vor. Vor der Dorfschule steht ein Mast mit der Flagge der Gorkhaland-Bewegung, die mehr Autonomie für den Darjeeling Distrikt fordert. Schließlich erwirtschaftet die meist nepalische Bevölkerung hier den Reichtum der Region: Tee für den Weltmarkt.

Ich verschlafe den Mittag, nachmittags bringt Mohun Tee und Plätzchen vorbei. Zum Abendessen sind wir in das benachbarte Haus einer Familie eingeladen: Hier bereiten Oma, Töchter und Enkel das leckerste Essen vor, das die Region zu bieten hat: Momos. Das sind Teigtaschen mit Gemüse und Fleisch, gekocht und dann kurz angebraten. In eine würzige Soße getunkt ist das ein Festschmaus. Mohun und Lhapka helfen beim Rollen der Teigtaschen, alle erzählen dabei lebhaft und tauschen Neuigkeiten aus. Zum Schluss zaubert Lhapka sogar Kaffeepulver und Schokolade aus seinem Verpflegungsrucksack, was nach der Ewigkeit von fünf Tagen schon wie aus einer anderen Welt erscheint.
Sechster Tag: 19 km von Gorkhey nach Sirikhola
Die Kräfte sind zurück, sogar die Sonne ist wieder da. Ziel heute ist nach einer weiteren 19 km-Etappe Sirikhola. Wir müssen zunächst wieder steil ansteigen, aus dem Dorf erreichen wir dichten Nadelwald. Ein Schwarzwald-Feeling. Dann geht es in gleichbleibender Höhe über Waldpfade weiter bis wir schließlich eine Lichtung erreichen: schmucke Häuschen, frisch gestrichen mit Blumenkästen vor den Fenstern. Es ist die Siedlung Rammam, Zeit hier für einen Tee in der Sonne. Sogar das Handy zeigt Empfang, ich setzte ein SMS nach Deutschland ab, bevor der Akku aufgibt. In der Ferne, auf der anderen Talseite hört man Baggergeräusche. „Sikkim“, meint Depen, „die haben Geld – meist von der Zentralregierung in Delhi – um auch in entlegensten Dörfern Straßen zu bauen.“ Darum ist auch er für eine größere Autonomie des Darjeeling Distrikts, die aber bislang die Landesregierung in Kalkutta nicht gewähren will.
Wir machen uns auf für den letzten Abschnitt des Tages. Der hat es in sich, weil die nahezu ebenen Waldpfade abgelöst werden durch extrem anstrengende Abstiege über rutschige Felsblöcke. Die Knöchel schmerzen abends. Wir erreichen schließlich noch bei Tageslicht die Häuser von Sriharikhola, versteckt in einem Seitental, umgeben von dichtem Wald und tief unterhalb der Singalila Range gelegen. Ich erhalte ein Zimmerchen im oberen Stockwerk einer hübschen Pension (Trekking-Hütte wäre hier untertrieben). Es gibt einen kleinen Laden mit Snacks, eine Sitzecke von Fenstern eingerahmt und ein richtiges kleines Restaurant.
Beim Abendessen setzt sich ein junges Paar aus Kalifornien an den Nachbartisch, sie sind ebenfalls dem Regen und Schnee weiter oben in Sandakphu mit einem schnelle Abstieg direkt nach Sirikhola entkommen. Die Tour hatten sie über ein Trekking-Unternehmen gebucht, das dem Sohn von Tensing Norgay gehört. Norgay ist jener Sherpa, der mit Edmund Hillary 1953 zuerst den Everst bestieg. Er stammte aus Darjeeling und hat dort später das Mountaineering Institute geründet, das indische Bergsteiger ausbildet. Wenig professionell war hingegen offensichtlich der Guide der beiden Kalifornier: Ihm waren die Schuhe auseinander gefallen und er musste barfuß (!) die Strecke zurück legen. Depen schüttelte nur den Kopf. An diesem Abend fehlte nur ein kühles Bier, und wir hätten lange in die Nacht hinein diskutiert.
Siebter Tag: 8 km von Sirikhola nach Rimbik – und alles wird gut

So sehr ich noch in Phalut die Rückkehr ersehnt hatte, in diesem lieblichen Ort Sirikhola hätte man länger bleiben können. Aber für heute Mittag wird der Jeep in Rimbik erwartet, der uns zurück nach Darjeeling bringen soll. Also geht’s los auf die letzten 8 km der Tour. Sie führt in fast gleicher Höhe auf einem Weg durch das Tal des Siri, der Fluss (=khola) schneidet sich immer tiefer ein und verschwindet mit jedem Kilometer weiter zwischen den steil aufragenden Talwänden. Hier kleben Häuser und kleine Siedlungen wie Nester an den Hängen. Die Sonne scheint und es ist eine Lust zu wandern. Was für ein Unterschied zu den Tagen vorher, als der Nebel keine Sicht auf die Bergwelt zuließ.
Nach vier Stunden Marsch kommen wir pünktlich mittags in Rimbik an. Das Städtchen ist „Dienstleistungszentrum“ sowie End- und auch Ausgangspunkt aller Touren in diese entlegene Ecke Westbengalens. Im Restaurant, in dem wir bei einem Tee auf unserer Fahrer erwarten, läuft BBC World im Fernsehen, die Banken haben Cash-Automaten und die Handys funktionieren. Zurück im Global Village – und doch am Ende der Welt!
Knapp vier Stunden, mit einem kleinen Essenstopp, braucht unser Gefährt zurück nach Darjeeling. Unterwegs lassen wir Lhapka aussteigen. Wie kann man dem treuen Sherpa danken? Seine freundliche Art und an Zauberei grenzenden Kochkünste im Nirgendwo haben mich bestens aufgehoben fühlen lassen. In Darjeeling heißt es auch Abschied nehmen von Mohun, der sieben Tage lang mein Gepäck auf seinen Schultern hatte. Depen bringt mich zurück ins Hotel hoch oben am Hang über der Stadt, er lädt mich für morgen zum Mittagessen in sein Haus ein. Dann lerne ich seine Familie kennen.
Ich stolpere in die Hotellobby und fühle mich in den verschwitzten Klamotten mehr als fehl am Platz. Aber der Rezeptionist lächelt nachsichtig. Eine warme Dusche und dann ein Bier in der Hotelbar, spätestens jetzt ist das Trekking-Abenteuer Geschichte.
Epilog
95 km in sieben Tagen in Höhen zwischen 2500 und 3600 Metern – für mich eine Grenzerfahrung im Sinne des Wortes. Ich bin heute mit Depen unten im Bazar verabredet. Er stellt mir seine Mutter vor, die im Postamt von Darjeeling arbeitet. Gegenüber in der neuen Shopping Mall trinken wir einen Espresso. Depen hatte sich noch nicht in dieses moderne Ambiente getraut. Mittags bringt er mich zum Haus seines Schiwegervaters, wo er mit Frau und Sohn wohnt – auf der steilabfallenden Nordostseite des Sporns, auf dem Darjeeling liegt. Das kleine Haus klebt förmlich am Hang. Auf einer Veranda stehen Blumen in Töpfen, seine Frau hat aufwendig gekocht. Ein schöner Nachmittag und eine Gastfreundschaft, die ich gern einmal erwidern würde.
