Zunächst erinnert nichts auf der Hotelterrasse am Kuching River an die White Rajahs von Borneo. Vor mir liegt die Kuching Waterfront, wo in unerträglicher Schwüle einige Jogger unterwegs sind. Jungs posieren in albernen Positionen auf dem Weg zu einem chinesischen Tempel, der fürs Neujahrfest 2019 geschmückt ist. Und hinter meinem Hotel lassen sich junge Frauen vor dem „Wahrzeichen“ Kuchings fotografieren.
Am gegenüber liegenden Ufer des Flusses liegt das stilsichere Parlamentsgebäude des Bundesstaates Sarawak, der zusammen mit Sabah der Malaysischen Föderation angehört. Aber auf dem Hochufer rechts davon fällt mein Blick auf eine puppenstubenartige kleine Festung, die den posierlichen Namen Fort Margherita trägt. Weiß getüncht, mit Zinnen und Türmchen. Nicht gerade Schrecken einflößend.
Am Ufer bietet ein Fährmann seine Dienste an. Für einen Ringitt (etwa 25 Eurocents) stakt er mich auf die andere Seite, von wo ein Pfad den Hügel raufführt. Am Zugang zum Fort betreut ein junges Paar, als Volunteers in der Historical Society Kuchings wie sie sagen, das kleine Museum im Turm. Es wurde erst 2016 eingerichtet und ist an diesem Tag erbarmungsvoll klimatisiert.
Bei geschlossenen Fensterläden ist die „Brooke Gallery“ dezent beleuchtet, eröffnet aber einen erstaunlichen Blick in die Kolonialgeschichte Nordborneos. Mehr noch: den Blick in die Welt des britischen Imperialismus vor 150 Jahren, die ein fruchtbares Feld für Abenteurer und Eroberer, für Schriftsteller, Missionare und Vizekönige war. Von London über Calcutta und Singapur waren die Wege weit (die Post brauchte Wochen und Monate) und Entscheidungen vielen einsam vor Ort – natürlich immer mit Blick auf die Interessen „der Krone“ und potentiellen „subjects“.
So auch jener James Brooke, der erste der Dynastie von Weißen Rajas, die eine eigene Kolonie in fernem Land besaßen oder zumindest für London in Besitz nahmen. Eine online-Enzyklopädie beschreibt ihn so: „Sir James Brooke (1803-1868) was a British empire builder and the first ‚white ruler‘ of Sarawak, Borneo. Founder of a dynasty, Brooke ruled with integrity, justice, and a sympathetic understanding of the indigenous population.“ Britischer kann man es nicht formulieren – eine Nostalgie, die den Wunsch nach neuer Größe ohne die Fesseln der EU offenbart.
Ich wandere an alten Säbeln, Fotos und Modellen entlang. Brooke’s Sarawak hatte eine eigene Flagge, deren farben Rot Schwaz Gelb noch heute gelten, wenngleich die Krone durch einen Stern ersetzt wurde. Im oberen Stockwerk gibt es ein Modell des Schoners „Royalist“, mit dem Brooke zuerst nach Sarawak kam.
Mit Blick auf die derzeitige britische Identitätssuche als „Global Britain“ mit London als „Singapore on the Thames“ hat mich die Geschichte von Brooke und seinen Nachfolgern aus der Familie fasziniert. Und er war wohl eine ansehnliche Erscheinung, wie ein Gemälde von 1847 den 34-Jährigen darstellt. In einem Film wollte Errol Flynn ihn einst spielen, Peter O’Toole aus den 1960igern hätte es auch getan. James Brooke hatte keine Kinder (Frauen und ein gesittetes Familienleben waren kein Ding solcher Abenteurer), so machte er seinen Neffen zum Nachfolger. Der setzte die Dynastie bis zur zwischenzeitlichen Übernahme durch London 1941 fort (kurz danach besetzte das imperiale Japan Borneo).
Ich fand – ein Hip Hip Hurrah auf das Internet – dort eine wertvolle Quelle zu Brooke: seine „Private Letters of Sir James Brooke“. Am aufschlussreichsten darunter ist ein Brief an seinen engsten Freund, John Charles Templer (Barrister-at-law, and one of the Masters of Her Majesty’s Court of Exchequer), der die gesammelten Briefe von Brooke 1853 in London „three volumes“ herausbrachte. In jenem Brief aus Sarawak vom 31.12.1844 (vol. II, S. 42 ff.) beklagt Brooke, wie engstirnig das fehlende Interesse der Behörden in Calcutta und Singapur an Borneo sei. (Meine eigene Übersetzung):
„Die Regierung ist bestimmt misstrauisch und setzt wenig Vertrauen in mich. Man glaubt wohl, dass da noch eine andere Absicht unter der moderaten Oberfläche lauere. Das überrascht mich auch nicht … . Es überrascht mich aber, dass sie sagen, sie verstünden meine Intentionen nicht. … Meine Absicht, ja mein Wunsch ist es, die Insel Borneo zu entwickeln. Wie man das tut, ist nicht an mir zu sagen, sondern für sie (die Regierung) zu beurteilen, welche Mittel und Instrumente sie mir an die Hand gibt. Meine Absicht ist es, Piraterie auszuradieren, in dem ich die Piratennester angreife und zerschlage. … Ich möchte die Einstellung der Eingeborenen dahin gehend ändern, dass sie Verantwortung für Borneo insgesamt übernehmen. Ich möchte das Innere der Insel erschließen, die ärmeren Eingeborenen ermutigen, die Hindernisse im Handel beseitigen und neue Quellen für wirtschaftliche Aktivität entwickeln. Ich will Borneo zu einem zweiten Java machen!
Ich möchte die gesamte Inselwelt dahingehend beeinflussen und verändern, falls die Regierung mir Möglichkeiten und Befugniss einräumt. Ich will verhindern, dass eine ausländische Nation in diese Region kommt und ich würde sogar ganz alleine gegen Frankreich zu Felde ziehen. … Ich habe angeboten ohne Sold zu dienen, obwohl jeder Arbeiter seinen Lohn wert sein sollte, ich habe angeboten, Sarawak zu übergeben, obwohl ich schon 10.000 Pfund für seine Entwicklung ausgegeben habe. … Die Wahrheit ist aber, dass die Regierung nicht weiß, was sie tun will. Sie stochert nach Kohle und ignoriert die größeren Ziele. …“
Brooke schreibt seinem Freund weiter, wie das Beispiel Neuseeland zeige, sei eine mit ausländischem Geld, Material und mit Macht forcierte Kolonisierung eine Geldverschwendung und ruiniere die lokale Bevölkerung (gemeint sind die Maori) als Ergebnis.
„Der Anfang unserer jüngeren Kolonien geschah unter Zwang, wo doch eine ruhige und sanfte Entwicklung mit den Mitteln der Natur übersehen wurde. Aber genauso wurde Amerika besiedelt. … Es ist leicht für Männer, schöne Pläne mit dem Federhalter zu entwerfen, es ist leicht für Reiche jedes Jahr Tausende für wohltätige Zwecke zu geben. Es ist leicht, sich gegen Sklavenhandel zu äußern oder gegen Piraterie anzubrüllen. … Aber es ist nicht leicht, alleine da zustehen, im Exil, ein kleines Vermögen selbst auszugeben … ja das Leben zu riskieren, wenn dessen Verlust ohne Glorie und ohne Ruhm sein würde. Es ist für mich nicht leicht, solche Vergleiche zu ziehen, bitte entschuldige mich für meinen Zorn. Gott wird dies beurteilen.“
Er lamentiert weiter, was er alles für Borneo getan habe und wie sehr er sich im Stich gelassen fühle. „Hier, lieber Jack, hast du jetzt einen langen Brief, frisch vom Herzen weg geschrieben, mit all meiner Empörung und meinen Verdächtigungen und Unterstellungen.“ Brooke setzt den Brief in den ersten Januartagen 1845 fort und schreibt seinem Freund, er habe der Regierung einen Deal angeboten: Antimon und Opium gegen eine jährliche Zahlung von 2.600 Pfund. Schließlich müsse er auch leben, und Verwaltungen müssten auf dem einen oder anderen Weg bezahlt werden. „Kannst Du verstehen, wie ich meine Zähne zusammen beiße, wenn ich dieses gelobte Land sehe, und sehe es ohne einen Zweck?“
Der Brief des damals erst 31-jährigen Brookes aus der Jahreswende 1844/45 ist ein bezeichnendes Dokument kolonialen Selbstverständnisses: selbstloses Handeln gegenüber ignoranten Bürokraten, das Wohl der „Natives“ und des Vaterlandes immer im Blick, alles für die Ehre, wenngleich Geld nicht unverzichtbar ist. Dazu die ausländischen Rivalitäten, der enge Blick auf Rohstoffgewinnung statt zivilisatorischem Aufbau. Das alles „single handed“ von einem Abenteurer aus der englischen Provinz, mit Mittelschulabschluss aber Mut und Weitsicht eines Francis Drakes oder Stamford Raffles.
Letztendlich bekam Brooke freie Hand und gab sich selbst den Titel eines Raja von Sarawak. Er gewann dem Sultan von Brunei Land ab und unter seinen Nachfolgern blieb Sarawak Besitz der Brookes bis zur japanischen Besatzung. Faszinierend ist diese Geschichte allemal, ganz im Sinne von „Männer machen Geschichte“. Aber sie ist auch erhellend für einen Zeitgeist, der im Britannien von heute wieder verklärt wird.
Mehr als 80 Jahre später ist diese Geschichte für die meisten Menschen in Sarawak kaum relevant. Sie sind alle in das Boomland Malaysia hinein geboren. Die Ressourcen ihrer Insel werden umfangreich ausgebeutet und haben einen enormen Wirtschaftsboom ausgelöst. Der Urwald verschwindet für Palmöl und vor der Küste Sarawaks liegen Erdölplattformen. Flughäfen in Kuching, Sibu, Miri verbinden Sarawak mit „Mainland Malaysia“. Ein Straßennetz durchzieht Urwald und die Küstenregionen, mit 50 Eurocent ist Benzin so billig wie in Dubai. Einer meiner Local Guides auf der Borneoreise im Februar 2019 meinte, die Twin Towers der Petronas in Kuala Lumpur (dem nationalen Energieunternehmen Malaysias) könnten mit Fug und Recht „Sabah“ und Sarawak“ heißen.
Es ist die jetzige Generation der Brookes, die über einen Brooke Heritage Trust das Erbe der Groß- und Urgroßväter bewahren will. Jason Desmond Anthony Brooke (geb. 1985 und seinem Urahn in Statur verblüffend ähnlich) und andere Trustees initiieren Projekte im Naturschutz und zur Bewahrung historischer Dokumente. Der Trust sammelt sogar Spenden zum Neubau des „Royalist“. Es gibt Grund, die Initiative der jungen Leute zu bewundern. Wer würde nicht diese Familiengeschichte bewahren wollen, zumal drei der White Rajas in bescheidenen Gräbern in einem winzigen Dorf in Devon liegen? Und Sarawak ist heute selbstbewusst genug, sich dieser Geschichte zu stellen.
Weitere Informationen:
„PM’s Approach to Sarawak, Sabah a Welcome Change.“ New Straits Times online, 8 April 2021