Kappadokien: Landschaft mit Puderzucker

Die Winterlandschaft dieser Tage rief Erinnerungen an eine andere hervor – zu einer Zeit als wir noch reisen konnten. Ich wachte damals am Tag meiner Abreise aus Ürgüp auf und traute den Augen nicht: Die Sonne beschien eine Landschaft vor seidenblauem Himmel, die wie mit Puderzucker bestreut schien. Die Hügel, Canyons und Türmchen hier in Kappadokien sehen auch sonst schon aus wie im Märchenland, an jenem Morgen vollends. Ohne Duschen und Frühstück rannte ich aus dem Hotel zur Staße Richtung Göreme. Es war zu vermuten, dass diese Pracht unter dem Sonnenlicht schnell zu verschwinden drohte. Entlang der Straße gab es herrliche Ausblicke auf die Tufflandschaft, die einst ein Vulkan mit seinen Aschen geschaffen hatte. Ein Zuckerbäcker hätte es nicht besser machen können. Der eine oder andere Heißluftballon war in der klirrenden Luft schon unterwegs, Glückskind, wer dieses Schauspiel von oben beobachten konnte.

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Als ich am Tal von Göreme, oberhalb der Höhlenkirchen ankam, war dort das weiße Pulver schon verschwunden. Der Parkplatz blieb leer, der Tourismus hatte in diesen ersten Märztagen noch nicht begonnen.

Tal von Göreme. Im Hintergrund die Bergstadt Uchisar.

Ich wanderte noch ein paar hundert Meter die Serpentinen zum Parkeingang hinunter. Bauarbeiter waren mit der Ausbesserung des Pflasters beschäftigt. Gegenüber im Talhang liegt der Zugang zur Tokali-Kirche, eine der prächtigsten Kirchen der Region aus byzantinischer Zeit. Erstaunlicherweise konnte ich das Tor öffnen. Drinnen vor dem Kassenhäuschen saß der Wärter im Halbdunkeln, sich mit einem Glas Çai aus einer Thermoskanne wärmend. Er war froh über einen Besucher und machte für mich die Beleuchtung an. Es bot sich ein überwältigendes Schauspiel von farbigen Malereien, überall an Decken und Wänden der Kirche. Ein zweites Kirchenschiff gab es auf einer tieferen Ebene, ebenso fantastisch bemalt (inzwischen sind die Fresken von italienischen Restaurateuren erneuert). Dem Reiseführer entnahm ich, dass das tiefe Blau aus Farbpigmenten von afghanischem Lapislazuli erzeugt wurde. Kostbarer kann man nur noch mit purem Gold malen. Der Wärter lud mich ein, mit ihm ein Glas Tee zu trinken. So saßen wir still in diesem Wunderwerk, das vor 1000 Jahren in das weiche Gestein gehauen worden war. Gerade im Dunklen hatten die Farben über die Jahrhunderte ihre Leuchtkraft behalten.

Von jenen Höhlenkirchen gibt es in Kappadokien unzählige. Manche werden erst noch entdeckt, andere sind aufwendig restauriert und für Touristen zugänglich. Die konzentriert sich auf das Tal von Göreme, aber der Wanderer in den Tälern der umgebenden Ortschaften wird weitere historische Kirchen finden. Ich musste zurück nach Ürgüp, um noch einen Bus nach Ankara zu erreichen.

Tags zuvor hätte ich einen solchen Abschluss meiner Tage in Kapapdokien nicht zu erhoffen gewagt. Es war nasskalt. Ich hatte eine Tagestour zu den „Highlights“ gebucht und erwartete nicht viel bei Schneeregen und unangenehmer Kälte. Wir trafen uns am Parkplatz im Zentrum des kleinen Städtchens, von wo uns ein Kleinbus zu den Stationen der Tour brachte. Unsere Gruppe bestand aus einem halben Dutzend junger Leute (mich ausgenommen), die auf ihren Welttouren eher zufällig im März in Kappadokien gelandet waren: Argentinier, Koreaner oder Amerikaner. Unsere junge Führerin versuchte trotz widrigster Bedingungen die Stimmung aufzuhellen. Wir folgten ihr mit Schirmen und Kapuzen.

Zum Nachmittag versprach sie uns ein wetterunabhängiges Highlight: die unterirdische Stadt von Derinkuyu, etwa 30 km südlich von Göreme. Mitten auf dem Marktplatz stiegen wir in die Gänge eines Labyrinths hinab, in das ich mich alleine niemals getraut hätte. Für Klaustrophoben keinesfall empfehlenswert. Manche Gänge und Treppchen kann gerade einmal eine Person gebückt passieren. Die Stadt hatte alles, was tausende Bewohner zum Schutz brauchten: Brunnen, Belüftung bis in über 50 m Tiefe, Eingänge, die mit runden Steinen zu blockieren waren und unterirdische Kirchen. Nur ein kleiner Teil der wohl weit mehr als 1000 Jahre alten und erst 1963 entdeckten Stadt ist erkundet bzw. zugänglich. Einfach nicht dran denken, dass die Gegend auch Erdbeben gefährdet ist ….

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Zurück im Tageslicht fragte ich mich, wie das Leben in einer solchen Stadt tatsächlich ausgesehen hat: vermutlich wie im Bunker zu Kriegszeiten. Der Bus brachte uns zurück nach Uchisar. Hoch über dem sogenannten Pigeon Valley war in einem Restaurant ein opulentes Büffet aufgebaut: lokale Köstlichkeiten mit Suppen (mein Favorit: Joghurtsuppe), Salaten, eingelegten Oliven, Kebab, Brot und zum Dessert allerlei Gebäck. Das tat gut nach einem Tag mit Regen und Schnee. Später trank ich an der Hotelbar einen Raki. Der wärmte doppelt.

In den darauf folgenden Jahren sind wir bei jeder Türkeireise zunächst nach Kappadokien gefahren. Vom diesem Herzen Anatoliens aus lassen sich die Städte Kilikiens an der Südküste, der Berg Nemrut bei Malatya, Südostanatolien und die kurdischen Regionen, aber auch die Schwarzmeerküste jenseits von Trabzon über das exzellente Straßensystem erreichen. Von Deutschland aus fliegt (flog) Lufthansa mehrmals täglich nach Ankara. Vom Flughafen Esenboga aus über den Autobahnring und dann via Aksaray sind es nur drei bis vier Stunden nach Ürgüp oder Göreme. Mit Turksh Airlines kann (konnte) man auch via Istanbul direkt bis Kappadokien fliegen. Die Landebahn liegt mitten im Agrarland am Kizilirmak-Fluss nördlich von Nevshehir.

Kappadokien bietet genügend Geheimnisse, um bei jedem Besuch für Überraschungen zu sorgen.

Auf der Straße von Ankara nach Aksaray