Es ist nicht das Motto von Google oder Amazon und auch nicht von Elon Musk. „Non sufficit orbis“ war Leitspruch von Philipp II. Seine Herrschaft als König von Spanien (1555 bis 1598) und ab 1580 auch noch König von Portugal markiert Aufstieg und Fall der Supermacht des 16. Jahrhunderts. Nirgendwo wird Macht und Hybris so eindrucksvoll dokumentiert, wie mit dem Escorial-Palast nördlich von Madrid.
Spaniens Aufstieg hatte schon unter Philipps Vater Karl V. begonnen. Der war aber damit beschäftigt, seine Herrschaft als deutscher Kaiser unter den durch die Reformation rebellisch gewordenen deutschen Landesfürsten zu verteidigen. Zugleich musste er sich die Fugger vom Hals halten, die ihn an seine Schulden erinnerten. In Karls Reich ging die Sonne nie unter. Aber das war Philipp nicht genug. Er ließ zwischen 1563 und 1584 im Städtchen San Lorenzo de El Escorial einen Bau errichten, der mehr Einsiedelei denn repräsentativer Palast war. Das aber hinter monströsen Mauern: Das Gebäude ist 207 x 161 m groß, der größte Renaissancebau auf dem Globus. Es hat 2000 Gemächer mit 3000 Türen und 2673 Fenstern, außerdem 16 Höfe, 12 Kreuzgänge, 88 Brunnen und 86 Treppenaufgänge (zitiert aus Wikipedia zu „Real Sitio de San Lorenzo de El Escorial“).
Innenhöfe und Wandelgänge wirken streng und erschlagend. Der Besucher verirrt sich in Treppenhäusern und Abfolgen von Sälen. Der größte Teil der Anlage wird von der Palastkirche eingenommen. Philipp war ein frommer Katholik und für sich selbst fast asketisch. Aber an Pracht und Ausstattung für Kirche und Bibliothek ließ er es an nichts fehlen. Treffend formuliert es der Wikipedia-Artikel zu „Philipp II.“: Aufgrund der Vorliebe Philipps für einen asketischen Lebensstil ist der Escorial in der nüchternen Art der spanischen Renaissance gehalten und betont die unantastbare Würde der Majestät. Philipp kümmerte sich ab der Grundsteinlegung persönlich um jegliches Detail: Sämtliche Entwürfe und Abrechnungen mussten ihm vorgelegt werden, und wenn diese von ihm für korrekt befunden wurden, setzte er ein lakonisches „Está bien así“ (dt.: „Ist gut so“) darunter. Der Escorial ist ein ideologisches Bauwerk, der als Ausdruck der engen Beziehung von Staat und Kirche Kloster- und Palastanlage miteinander verbindet, steinernes Symbol spanischer Weltmacht.“ Selbst ein unbefangener Besucher spürt dies im Escorial.
Die Decke der Bibliothek ist mit symbolträchtigen Malereien geschmückt. Themen der Aufklärung mischen sich mit Darstellungen zur universalen Macht der Kirche. Philipp konnte klotzen. Spanien plünderte die Reichtümer Lateinamerikas und transferierte seinen gewaltigen Reichtum ins Mutterland. Der Raub war nicht nur moralisch verwerflich, sondern wirkte in Iberien auch inflationär. Opulente Kirchen, Paläste überall und zuletzt eine gewaltige Flotte, die Spanische Armada, verschlangen Unsummen und wurden nicht durch Steuereinnahmen oder nachhaltiges Wirtschaften gedeckt. Zudem nahm man gern Kredite der oberdeutschen Handelshäuser an. Irgendwie modern: Reichtum durch Eroberung, Plünderung, Bestechung und ab und an Staatsbankrotte. Das Ganze aber verpackt in eine autoritäre, heilbringende Ideologie. Kennt man auch.
Die Glocken der Palastkirche läuteten und ein Wächter drängte uns aus dem Kirchenschiff, da die Mittagsmesse beginnen sollte. Man sieht förmlich, wie Philipp II. andächtig vor dem goldglänzenden Hochalter im Gebet versinkt.
Vom Escorial aus verwaltete Philipp in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens sein Land, sein Reich und die Schuldenlast mit Akribie und bürokratischem Eifer. Er herrschte über Manila, wie über Manaus, über Mexiko wie über Malacca, über Mosambik wie über Macao. Seine Privatgemächer waren wenige winzige Zimmer im Südflügel des Palastes, sein Schlaf- und Sterbezimmer hatte die Größe einer heutigen Studentenbude. Aber sein Scheitern war ebenso grandios, wie seine Residenz.
Seine Armada scheiterte am England Elisabeth I., seine Besitzung an der Nordseeküste erlangten nach langen Kämpfen Unabhängigkeit und wurden als der Städteverbund der Niederlande zum Konkurrenten und Nachfolger im Welthandel. Im 17. Jahrhundert wurde jene kleine Region zwischen Rheinmünung und Westfriesland mit modernem Kapitalismus die reichste Nation der Erde, während Spaniens Stern sank.
Als Residenz der spanischen Könige wurde der Escorial nach Philipps Tod kaum mehr genutzt. Er blieb aber Zeugnis des Anspruchs auf Weltgeltung und kastillischen Selbstbewusstseins. Zudem ist er Pantheon des spanischen Königtums, von Habsburgern und Bourbonen. Der über steile Treppen zu erreichende Untergrund des Escorial ist eine einzige Serie von Gruften. Hier liegen Philipp, sein Vater und unendlich viele der spanischen Habsburger begraben. Eine ganze Kammer ist voll mit kleinen Steinsärgen der verstorbenen Kinder („Infanten“) des Clans. Diese Gruften mit übereinander angeordneten Steinsärgen wirken mehr wie Katakomben denn wie ein königlicher Friedhof.
Im Escorial verkörpert sich ein Zeitgeist, der nicht auf die kastillische Hochebene beschränkt blieb, sondern mit den europäischen „Entdeckungen“, kommerzieller und schließlich kolonialer Expansion auf dem ganzen Globus durchgesetzt werden sollte. Nur dass statt katholischem König- und Kaisertum und der Seelenwerbung für die Kirche kalkulierte weltwirtschaftliche Ausbeutung betrieben wurde. Die Ideologie des Escorial war schnell aus der Zeit gefallen, die Ideologie von Scheckbuch, Profite auf Investitionen und eben die berühmte „Bottom Line“ hatte gerade erst begonnen.