Jetzt also Joe. Good luck für ihn. Genießen wir die amerikanische Dialektik. Alle vier Jahre im Januar erleben wir jenes Schauspiel am Kapitol, an mehr oder weniger kalten Wintertagen, wenn Präsidenten ihren Amtseid auf die Bibel schwören. (Wie fühlt man sich als Agnostiker oder Nicht-Christ dabei in jenem Schmelztiegel?) Pathos, Paraden und Parties zuhauf, fast wie der Glanz einer Monarchie. Man muss es den Amis lassen, sie zelebrieren vor der Weltöffentlichkeit die friedliche Amtsübergabe wie ein besonderes Ereigniss.
Das war es sicher in den ersten zweihundert Jahren auch, als in der Alten Welt entweder Revolutionen, Meuchelmorde oder „Erbfolgekriege“ den Machtwechsel bestimmten. Wenn aber in Tokio, Delhi, Berlin, Rom oder Kuala Lumpur neue Regierungen nach Wahlen antreten, ist das meist ein einfacher parlamentarischer Abstimmungsakt – so wie es sein sollte in repräsentativer Demokratie. Kurze Meldung dann dazu in den Abendnachrichten (wie heute in Italien, wo eine Minderheitsregierung antritt – no big deal).
Viel wurde geschrieben, das der Pomp beim Machtwechsel in den USA nur eine Show ist. In Wahrheit gibt es seit 250 Jahren in Washington Kontinuität (man achte im Foto auf die goldenen Schriftzeichen am oberen Bildrand).

Spätestens seit der großen Lüge im März 2003 vor der Weltöffentlichkeit (im Plenarsaal des Weltsicherheitsrates) haben die Machthaber in Washington ein Glaubwürdigkeitsproblem. Zunächst nur im Rest der Welt, seit der Finanzkrise 2008 aber auch im Land selbst. Don hatte geerbt, was George gesät hatte und Barack – trotz „Yes, we can!“ – nur unzureichend kitten konnte. Vor vier Jahren sprach er von ‚American carnage‘, den es zu bekämpfen gäbe und meinte nicht Bagdad, Sanaa oder Kabul, sondern Chicago oder Baltimore. Heute stehen nicht nur Charlottesville, sondern vermeintlich liberale Städte im Norden des Landes, wie Minneapolis oder Kenosha, für diesen carnage – und zuletzt Washington D.C. selbst. Großartige Leistung!

Dazu haben 400.000 Menschen im freiesten Land den Welt den Tod mit einem Virus gefunden, welche selbstfahrende Autos, Space-X-Raketen oder Twitter und Google nicht bändigen konnten. Jeder fünfte Covid-Tote auf dem Planeten ist ein Amerikaner. In den USA wird solches Staatsversagen als Selbstbestimmung und „Freiheit von staatlicher Beeinflussung“ umgedeutet.
Freiheit ist tatsächlich ein magischer Begriff für Menschen in oppressiven Gesellschaften oder Regimen. Und die USA standen immer für ‚Verwirkliche Dich selbst‘, ‚Denke und sage, was Du willst‘, aber auch ‚Sieh zu, wie Du zurecht kommst‘.
Dass dazu auch das unveräußerliche Recht gehört, mit Schnellfeuergewehren auf Straßen, Plätzen oder Parlamenten herum zu laufen, ist im Rest der Welt dann doch verwunderlich. Die Saat schien am 6. Januar 2021 fast aufzugehen.
Jetzt wird es Zeit, dass Wilhelm Sheriff wird.

Kommentare aus internationalen Medien:
„High noon in America?“ New Straits Times, Kuala Lumpur, 20 January 2021
„Stress test for American democracy“. The Hindu, Chennai, 20 January 2021
„Trump lesson: democracy is frail“. Jakarta Post, 20 January 2021
„Heartbreak, humiliation and tragedy for the United States“. Japan Times, Tokyo, 7 January 2021
„Biden stands for competencey, science and service beyond self“. Gulf News, Dubai, 20 January 2021
„Trump’s disgraceful end“. Tehran Times, 9 January 2021
„After four frenetic years it’s Biden’s turn“. Haaretz, Tel Aviv, 20 January 2021
„Biden has to fix Trump’s damage“. The Star, Nairobi, 20 January 2021