Trulli-Häuser in Harran

Im türkischen Sanliurfa und im nahe gelegenen Harran verknüpfen sich drei Weltreligionen an einer Person: Abraham aus Ur in Chaldäa, wie es in der Bibel heißt. Im Buch Genesis des Alten Testaments beginnt mit ihm die Heilsgeschichte über Moses, Salomon und David bis zur Geburt Jesu in Bethlehem. Und der Koran schreibt Abraham und seinen Nachkommen eine zentrale Rolle in der Offenbarung des Glaubens zu. Urfa und Harran sind uralte Städte im „Fruchtbaren Halbmond“, der den Beginn der Städte- und Staatenbildung schon vor über 5000 Jahren markiert. Bei unserer Reise im Mai 2014 hatten wir keine Ahnung, dass wir an der Tür zu jenem „Islamischen Staat“ standen, der sich daran machte, das nahe Syrien und die Türkei in einen ewigen Konflikt zu verwickeln. Das entnahmen wir nach der Rückkehr der heimischen „Tagesschau“.
Sanliurfa: der Birket Ibrahim (Abrahams Teich) oder Halil Rahman Gölu mit der Zülmiye Camii aus dem Jahr 1736

Harran liegt nur wenige Kilometer nördlich der Grenze zu Syrien in einer ausgedehnten Bewässerungsoase, die vom Euphrat-Damm gespeist wird. Harrans Geschichte geht gut 3000 Jahre zurück. Vom alten Harran stehen noch Reste einer mittelalterlichen Zitadelle und einer Gelehrtenschule aus dem 9. Jahrhundert. Damit wäre sie die älteste Universität der Welt gewesen. Bei unserem Besuch fuhren wir von Urfa kommend um die halb verfallene alte Stadtmauer herum, parkten nahe der Zitadelle und spazierten zu einer Gruppe von kegelförmigen Häusern. Hier wurde das Leben im alten Harran lebendig, auch wenn von Abraham keine Spur zu finden war. Wir hatten alle Hände voll zu tun, Jugendliche abzuwimmeln, die sich den wenigen Touristen hier (Mai 2014) als Führer anbieten wollten. Die moderne Stadt hat weniger als 10.000 Einwohner und steht im Schatten der Großstadt Sanliurfa.
Wer aus der Zentraltürkei Richtung Südosten fährt, kann die neue Autobahn durch die Kilikische Pforte in die Küstenebene bei Adana benutzen, die dann als D-52 über Gaziantep bis ins „berühmte“ (=Sanli-)Urfa führt. Sie wird noch weiter bis zur irakischen Grenze gebaut werden und ist Teil der Europastraße 90, die in Lissabon beginnt.
Und tatsächlich begegnen sich in Sanliurfa Orient und Okzident. Hier, im damaligen Edessa, gab es in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung ein Zentrum christlicher Gelehrsamkeit. Von hier aus verbreitete sich die syrisch-chaldäische Kirche bis nach Indien, symbolisiert durch die Missionstätigkeit des Apostels Thomas. Nach seinem Märtyrertod in Chennai/Madras sollen seine Gebeine zunächst nach Edessa gebracht worden sein, später dann gelangten sie nach Ortona an der italienischen Adria.
In Sanliurfa begegnen sich solche Legenden, denn für Muslime ist Urfa das Ur des Alten Testaments. Hier zeigt man eine Grotte, die als Geburtsort des Urvaters der drei Religionen gilt. Ein Reiseunternehmen formuliert es auf seiner Webseite so: „Sanliurfa ist die fünftheiligste Stadt des Islam. Hier sollen die Propheten Ibrahim (Abraham) und Ijob gelebt haben. Entsprechend islamischer Tradition wurde hier Abraham geboren. So wird Sanliurfa auch mit der alttestamentarischen Stadt Ur in Verbindung gebracht. Eine zentrale Stätte des Wallfahrtsortes Sanliurfa ist die Halil-Ür Rahman-Moschee und der zum Komplex gehörender „Teich des Abraham“ mit heiligen und unantastbaren Karpfen. Die Legende besagt, dass der Prophet Abraham, der auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollte, sich selbst errettete, indem er das Feuer in Wasser verwandelte und aus dem Feuer sprühende Glutbrocken zu Karpfen wurden. In der umgebenden Parkanlage findet man Pilger aus vielen islamischen Ländern der Welt, die sich die Karpfenteiche und die beiden weiteren sich im Park befindlichen Moscheen Rizvaniye Camii und Hasan Padişah Cami als Touristen anschauen oder zum Gebet verweilen“ (Quelle des Zitats).
Der Park um den Teich mit den heiligen Karpfen ist ein wunderbarer Ort zum Innehalten und Chai-Trinken. Hier begegnen sich Kurden, Türken und Araber, Familien sind unterwegs, über drei Generationen hinweg. Zur Altstadt und zum legendären Bazar sind es nur wenige Meter. Und wer es modern will, findet einen MediaMarkt ebenso wie eine pikfeine Shopping Mall.
In Sanliurfa treffen sich Welten. Der Beginn aller Zivilsation liegt auf den Hügeln nordöstlich der Stadt, in Göbekli Tepe. Und hier verbinden uralte Legenden unterschiedliche Kulturen und Religionen. Das ist nicht selbverständlich in Rufweite zu einem der brutalsten Regionalkonflikte und Bürgerkriege unserer Zeit.
