Mit Mark Twain in Indien

Twain’s literarischer Geburtsort: Virginia City

Mark Twain war ein scharfer Beobachter der Gesellschaft seiner Zeit. Er liebte es, sie zuweilen bissig und ironisch zu kommentieren. Das tat er auch während seiner Auslandsaufenthalte und auf seinen Reisen, als er durch die Erfolge von „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“ berühmt und wohlhabend geworden war.

Eine Weltreise von Mai 1895 bis Juli 1896 war aber nicht ganz freiwillig: Er musste Schulden für eine fehlgeschlagene Investition abarbeiten und wurde dazu auf eine Vortragstour um den Globus geschickt. Die Reise der Familie (Twain reiste mit seiner Frau und einer seiner Töchter), die der Autor unter ‚Following the Equator‚ dokumentiert, führte von Southampton über den Atlantik quer durch Nordamerika, über den Pazifik nach Australien und Neuseeland und schließlich auch nach Indien. Seinen Vortrag ‚Morals Lecture‘ (frei übersetzt „Moralpredigten“), hielt er in Portland ebenso wie in Adelaide, Darjeeling oder Pune (von der New York Times am 23. Juli 1895 veröffentlicht). Von Indien setzte er die Reise über Ceylon, Mauritius und Südafrika zurück nach Europa fort.

Im damaligen Britisch Indien hielt sich Twain vom 24. Januar bis 26. März 1896 auf. Er machte von Mumbai Abstecher nach Pune und Baroda, fuhr dann über Allahabad nach Varanasi und Calcutta. Von dort machte er einen Abstecher nach Darjeeling. Von Calcutta ging es über Lucknow und Kanpur nach Agra, weiter nach Jaipur, Delhi und Lahore. Am 26. März schifften sich Twain und seine Familie in Calcutta nach Ceylon und weiter nach Mauritius ein.

Ich habe Fotos einiger meiner Reisen und dazu Texte Twains hier zusammengestellt. Eine Webseite, twainsgeography.com erleichterte mir die Arbeit. Twains Kommentare und Beschreibungen ermöglichen einen Blick auf das zeitgenössische koloniale Indien und dessen zeitlosen Besonderheiten. Mark Twain bleibt sich treu, diese sarkastisch zu kommentieren. Er offenbart aber auch seine Fähigkeit, Sehenswürdigkeiten und Landschaften mit einer poetischen Ader zu betrachten und zu beschreiben. Twain konnte beides, Sarkasmus und Poesie.

Zitate Twain’s habe ich übersetzt, Abschnitte gekürzt und dann nochmals bearbeitet. Technisch bedingt kann ich die Zitate leider nicht dem gedruckten Werk zuordnen, wo sie mit Seitenverweisen zu versehen wären. Ich bitte um Nachsicht für diese publizistische Unzulänglichkeit. Auswahl und Bearbeitung der Zitate stammen allein von mir. Reiner Jüngst


Mark Twain in Varanasi (Benares) 5.-10. Februar 1896

(Unser Hotel) war vielleicht eine Meile entfernt. Es stand inmitten eines großen Geländes und war bungalowartig gebaut, alle Zimmer im Erdgeschoss und eine Veranda ringsum. Sie haben Türen in Indien, aber ich weiß nicht warum. Sie lassen sich nicht befestigen und stehen in der Regel offen, mit einem Vorhang im Türbereich, um die Sonne fernzuhalten. Trotzdem gibt es viel Privatsphäre, denn natürlich kommt keine weiße Person ohne Vorankündigung herein. Die einheimischen Diener werden es tun, aber sie scheinen nicht zu zählen. Sie gleiten barfuß und geräuschlos hinein und sind in der Mitte, bevor man es weiß. Zuerst ist dies ein Schock, und manchmal ist es eine Verlegenheit; aber man muss sich daran gewöhnen und tut es.

Benares war keine Entäuschung. Die Stadt liegt auf hohem Grund an einem weiten Bogen des Ganges. Sie besteht aus einer ausgedehnten Masse an Gebäuden, welche das Hochufer bedecken. In alle Richtungen durchziehen Risse diese Masse, die als Straßen zählen. Große, schlanke Minarette und flaggengeschmückte Tempeltürme ragen heraus und geben vom Fluss her ein schönes Bild ab.

Benares ist älter als die Geschichte, älter als die Tradition, älter als die Legende und sieht doppelt so alt aus wie alle zusammen. Aus einer Hindu-Erklärung, die in Rev. Mr. Parkers kompaktem und klarem Leitfaden für Benares zitiert wird, geht hervor, dass der Ort der heutigen Stadt der Ausgangspunkt der Schöpfung war. Sie bestand zunächst nur aus einem ein aufrechten „Lingam“, nicht größer als ein Ofenrohr. Der stand inmitten eines küstenlosen Ozeans. Es war das Werk des Gottes Vishnu. Später breitete er den Lingam aus, bis seine Oberfläche zehn Meilen breit war. Trotzdem war er nicht groß genug für das Anliegen; deshalb baute er den Globus darum herum. Benares ist somit der Mittelpunkt der Erde. Dies wird als Vorteil angesehen.

Es ist in hinduistischen Augen unbeschreiblich heilig, ebenso unhygienisch wie heilig, und riecht nach der Schale der Durian-Frucht. Es ist das Zentrum des Brahmanen-Glaubens, ein Achtel der Bevölkerung sind Priester dieser Kirche. Ja, die Stadt Benares ist praktisch nur eine große Kirche, ein religiöser Bienenstock, dessen jede Zelle ein Tempel, ein Schrein oder eine Moschee ist und dessen alles denkbare irdische und himmlische Gut sozusagen unter einem Dach beschafft werden kann – eine Art von Gemischtladen, theologisch bestückt. Benares ist ein religiöser Vesuv. In seinen Eingeweiden wirken die theologischen Kräfte seit Ewigkeiten, rumpeln, donnern und zittern, kochen und schweißen und flammen und rauchen.

Alles Leben scheint heilig zu sein, außer dem menschlichen. Sogar das Leben von Ungeziefer ist heilig und darf nicht genommen werden. Der gute Jain wischt einen Sitz ab, bevor er ihn benutzt, damit er nicht den Tod eines wertlosen Insekts verursacht, indem er sich darauf setzt. Es tut ihm leid, Wasser trinken zu müssen, weil die Vorräte in seinem Magen möglicherweise nicht mit den Mikroben übereinstimmen. Doch Indien hat Raub und Wegelagerei (thuggery) und Witwenverbrennung (sati) erfunden.

Verehrung eines Lingams

Indien ist ein schwer zu verstehendes Land. Wir gingen zum Tempel der Kali oder Durga. Sie hat diese Namen und andere. In der Tat ist keine der Götterfiguren (idols) in Benares schön oder attraktiv. Und was für ein Schwarm von ihnen gibt es! Sie tauchen nachts in den Träumen des Besuchers auf, eine wilde Menge von Albträumen. Wenn man sie in den Tempeln satt hat und einen Ausflug auf dem Fluss macht, findet man Götzenriesen, die auffällig bemalt und nebeneinander am Ufer ausgestreckt sind. Und anscheinend ist dort, wo Platz für einen weiteren Lingam ist, ein Lingam. Wenn Vishnu vorausgesehen hätte, wie seine Stadt aussehen würde, hätte er sie Idolville oder Lingamburg genannt.


Mark Twain in Darjeeling 14. – 17. Februar 1896

Dort oben (in Darjeeling) fanden wir ein ziemlich komfortables Hotel, das Eigentum eines konfusen Vermieters, der sich um nichts kümmerte, sondern alles seiner Armee indischer Diener überließ. … Ein anderer Gast sagte mir, dass der Gipfel des Kanchenjunga oft in den Wolken versteckt ist und dass ein Tourist manchmal 22 Tage gewartet hat und dann gezwungen war, wegzugehen, ohne ihn zu sehen. Und doch ging jener nicht enttäuscht: Denn als er seine Hotelrechnung bekam, erkannte er, dass er jetzt das Höchste des Himalaya vor sich sah. Aber das ist wahrscheinlich eine Lüge.

Darjeeling ist hoch gelegen und blickt auf eine weite Landschaft. Von dort aus kann man sehen, wo Grenzen dreier Ländern sich treffen, etwa 30 Meilen entfernt. Tibet ist eines von ihnen, Nepal ein anderes, und ich denke, Herzegowina war das dritte. Nach dem Vortrag ging ich an diesem Abend in den Club und das war ein komfortabler Ort. Anscheinend haben die Herren des britischen Zivil- und Militärdienstes in jeder Stadt Indiens einen solchen Club. Manchmal ist es palastartig, immer aber ist es angenehm und wohnlich. Die Hotels sind nicht immer so gut wie sie sein könnten, und der Fremde, der Zugang zum Club hat, ist dankbar für sein Privileg und weiß es zu schätzen.

Der nächste Tag war Sonntag. Freunde kamen in der grauen Morgendämmerung mit Pferden. Meine Reisegruppe ritt zu einem entfernten Punkt, an dem Kanchenjunga und der Mount Everest am besten auftauchen. Aber ich blieb zu Hause, um einen Blick für mich allein darauf zu werfen. Denn es war sehr kalt und ich war mit den Pferden in keiner Weise vertraut. Ich holte eine Pfeife und ein paar Decken, saß zwei Stunden am Fenster und sah, wie die Sonne das Schleiergrau vertrieb und die Schneegipfel nacheinander mit blassen rosa Spritzern und zarten Goldschleiern ausbesserte und schließlich die ganze mächtige Gruppe der Schneeberge mit reicher Pracht überflutete.

Der Gipfel des Kanchenjunga war nur vage sichtbar, aber zuweilen klar gegen den Himmel zu sehen – dort oben in der blauen Kuppel mehr als 28.000 Fuß über dem Meeresspiegel. Es war der höchste Punkt, den ich je gesehen hatte. Der Mount Everest ist 1.000 Fuß höher, aber er war kein Teil des vor mir aufgetürmten Gebirgsmeeres, also habe ich ihn nicht gesehen. Aber es war mir egal, weil ich denke, dass Berge dieser Höhe unangenehm sind.

Ich wechselte von hinten an die Vorderfenster vorne und verbrachte den Rest des Morgens dort, um zu beobachten, wie die fremden Völker aus ihren entfernten Wohnorten im Himalaya vorbeikamen. Alle Altersgruppen und beide Geschlechter waren vertreten Die Rassen waren für mich ziemlich neu, obwohl die Kostüme der Tibeter sie wie Chinesen aussehen ließen.

Gebetsmühlen an einem Tempel in Darjeeling

Die Gebetsmühle war ein häufiges Merkmal. Sie brachte mich diesen Leuten nahe und ließ sie als meine Verwandten erscheinen. Denn auch wir beten durch die Prediger als unsere Stellvertreter. Wir wirbeln sie allerdings nicht um einen Stock, aber das ist wirklich nur ein Detail.

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Mark Twain in Jaipur, 1.-15. März 1896

Palast der Winde, Jaipur (dieses und folgende Fotos sind von 1988)

Jeypore ist sehr indisch, weist jedoch zwei oder drei Merkmale auf, die auf die Präsenz der europäischen Wissenschaft und das europäische Interesse am Wohl der Allgemeinheit hinweisen, wie beispielsweise die freie Wasserversorgung durch große Anlagen, die auf Kosten des Staates errichtet wurden; gute sanitäre Einrichtungen, was zu einem für Indien ungewöhnlich hohen Gesundheitszustand führt; ein edler Vergnügungsgarten mit besonderen Zutrittszeiten für Frauen; Schulen für den Unterricht einheimischer Jugendlicher in fortgeschrittener Kunst, sowohl dekorativ als auch zweckmäßig; und ein neuer und wunderschöner Palast mit einem Museum von außergewöhnlichem Interesse und Wert. Ohne das Mitgefühl und den Geldbeutel des Maharajas wären diese Wohltaten nicht geschaffen worden; aber er ist ein Mann mit weitgesteckten Ansichten und vielen Großzügigkeiten, und all diese Angelegenheiten finden bei ihm ein Wohlwollen.

Und die Stadt selbst ist eine Kuriosität. Jede indische Stadt ist das, aber diese ist nicht wie jede andere, die wir gesehen haben. Der Hauptteil ist durch perfekt gerade Straßen, die mehr als 30 Meter breit sind, in sechs Teile geteilt. Die Häuserblöcke weisen lange Fassaden aufregendster architektonischer Besonderheiten auf. Die geraden Linien werden überall von hübschen kleinen Balkonen unterbrochen, die mit Säulen und Verzierungen versehen sind, …. viele der Fronten … haben die weiche, reiche Tönung von Erdbeereis. Man kann den weiten Abschnitt der Hauptstraße hinunterblicken und sich davon überzeugen, dass dies echte Häuser sind – ein unwirklicher Eindruck, eine Szene wie in einem Theater.  ….

An einem Tag war diese Illusion ausgeprägter war als je zuvor. Ein reicher Hindu hatte ein Vermögen für die Herstellung von Figuren und begleitenden Utensilien ausgegeben, deren Zweck es war, Szenen im Leben seines besonderen Gottes oder Heiligen zu illustrieren. Diese schöne Show sollte um 10 Uhr morgens als Prozession durch die Stadt gebracht werden. … Inmitten der weitläufigen Rasenflächen steht der Palast, in dem sich das Museum befindet – eine wunderschöne Steinkonstruktion, welche gewölbte Kolonnaden übereinander zeigt und terrassenförmig in Richtung Himmel zurücktritt. Jede dieser Terrassen bis zur obersten war voll mit Einheimischen. Man muss versuchen, sich diese Masse von prächtiger Farbe vorzustellen, die sich übereinander gegen den blauen Himmel abhebt. Die indische Sonne verwandelt sie in Feuer- und Flammenbetten.

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Später, als wir die Stadt erreichten und die Hauptstraße hinunterblickten, die in ihrer Erdbeer-Tönung schwelgte, wiederholten sich diese großartigen Effekte, für jeden Balkon und jeden phantasievollen Erker, die in den Hausfronten versenkt waren. Alle Dächer waren voller Menschen, die Menge eine Explosion von leuchtenden Farben. Dann schien die breite Straße selbst lebendig, mit prächtig gekleideten Menschen, die drängten und wirbelten; eine betörende Darstellung von Farben und Farbtönen, zart, lieblich, blass, weich, stark, atemberaubend, lebendig, brillant, eine Art Sturm von Erbsenblüten, die auf den Flügeln eines Hurrikans vorbeiziehen. Durch diesen Sturm der Farben wiegten sich majestätische Elefanten, geschmückt in bester sonntäglich Buntheit. Dazu die lange Prozession phantasievoller Lastwagen, die mit kostspieligen Bildern beladen waren. Und zuletzt die lange Nachhut stattlicher Kamele mit ihren malerischen Reitern. Was Farben, Bildhaftigkeit, Neuheit, Fremdartigkeit, bleibendes Interesse und Faszination betrifft, war es die befriedigendste Show, die ich je gesehen hatte. Und ich nehme an, ich werde nicht das Privileg haben, sie noch einmal zu betrachten.


Mark Twain am Taj Mahal, 27. Februar 1896

Ich wusste, ich musste mich mit dem Taj beschäftigen. … Eigentlich bin ich ein oberflächlicher Betrachter, ein Betrachter, der sich mit Eindrücken zufrieden gibt. Ein Leser, der die sachlichen Details ignoriert oder sie unsachgemäß zuordnet. Er erhält so nur einen flüchtigen, generellen Eindruck, einer der nicht richtig die Besonderheiten zuordnet, sie nicht prüft und daher nicht Wert schätzen kann. Das ist eigentlich viele Male besser als die bloße Realität. Ich aber lasse diese Realität beiseite und kann mir daher meine unbeschädigte Sicht auf jenen himmlischen Schatz bewahren, mein eigenes Taj Mahal. Es erhebt sich wie aus getöntem Nebel, mit Juwelen besetzten Regenbögen, die von Säulen aus Mondlicht gestützt werden.

Vor langer Zeit schon hat sich bei mir die Vortsellung verfestigt, dass die Stellung des Taj Mahals innerhalb der kulturellen Leistungen der Menschheit der gleiche ist, wie ein Eissturm in der Natur. Das Taj repräsentiert die höchste Leistung des Menschen bei der Schaffung von Anmut und Schönheit, von Kostbarkeit und Pracht. Genauso repräsentiert ein Eissturm in der Natur all diese Qualitäten. Immer wenn ich später an einen Eissturm dachte, tauchte das Taj Mahal vor mir auf. Über all die Jahre fand ich für das Taj Mahal in den Tempeln und Palästen der Menschheit keinen Rivalen, keinen der ihm nicht einmal nahe kam. Das Taj Mahal ist der Eissturm der Menschheit.


Epilog: Indien, Mark Twain und Rudyard Kipling

“This is indeed India! The land of dreams and romance, of fabulous wealth and fabulous poverty, of splendour and rags, of palaces and hovels, of famine and pestilence, of genii and giants and Aladdin lamps, of tigers and elephants, the cobra and the jungle, the country of hundred nations and a hundred tongues, of a thousand religions and two million gods, cradle of the human race, birthplace of human speech, mother of history, grandmother of legend, great-grandmother of traditions, whose yesterday’s bear date with the modering antiquities for the rest of nations-the one sole country under the sun that is endowed with an imperishable interest for alien prince and alien peasant, for lettered and ignorant, wise and fool, rich and poor, bond and free, the one land that all men desire to see, and having seen once, by even a glimpse, would not give that glimpse for the shows of all the rest of the world combined.”   Mark Twain in „Following the Equator

Great Eastern Hotel in Calcutta. Twain und Kipling waren hier jeweils Gast

Seine Reise durch Indien hat bei Mark Twain bleibende Eindrücke geschaffen. Eigentlich wollte er sich deshalb noch beim Aufenthalt in Calcutta mit einem ebenso inzwischen weltbekannten Schriftstellerkollegen treffen, aber das kam nicht zustande.

Twain war mit seinen Jugendgeschichten vom Mississippi berühmt geworden, der andere mit den Romanen „Kim“ und „Dschungelbuch“, die ebenfalls Eindrücke aus seiner Jugend in Indien wiederspiegeln: Rudyard Kipling (1865-1936). Twain war großes Vorbild des 30 Jahre jüngeren Kipling. 1889 reiste der damals 23-jährige Kipling nach Elmira im Staat New York, um dort sein Idol für die Zeitschrift „The Pioneer“ in Allahabad zu interviewen. Twain wusste zu der Zeit nichts über den jungen Kipling, wurde aber später seinerseits Bewunderer von dessen Werken.

Beide hatten ihre schriftstellerische Tätigkeit als Journalisten begonnen, beide waren daher profunde Beobachter ihrer Umgebung. Noch in Indien hatte Kipling 1888 einen Band über Calcutta verfasst („The City of Dreadful Nights, Vol. II„; siehe dazu Kipling in Calcutta in diesem Blog). Erst im Juni 1907 trafen sich beide anlässlich der Verleihung eines akademischen Titels der Universität in Oxford wieder. Drei Jahre später starb Mark Twain. Er ist in Elmira begraben.

Beide Schriftsteller nahmen aber politisch getrennte Wege: Twain prangerte noch auf jener Weltreise den Rassismus im südlichen Afrika an:

„Der größte Teil der Eingeborenen muss gehen, die Weißen wollen ihr Land. Sie lassen nur solche von ihnen bleiben, welche Arbeit für die Weißen tun müssen. … Cecil Rhodes und seine Bande sind dem grausamen Weg gefolgt. Sie sind berechtigt worden, um auszurauben und zu töten. … Sie rauben den Mashonas und den Matabeles einen Teil ihres Territoriums im alten Stil jenes „Kaufens für ein Lied“. Dann erzwingen sie Streit und nehmen den Rest mit starker Hand. Sie berauben die Eingeborenen ihres Viehs unter dem Vorwand, dass es dem König gehörte, den sie ausgetrickst und ermordet haben. Sie erlassen „Vorschriften“, nach denen die erzürnten und belästigten Eingeborenen für die weißen Siedler arbeiten und dafür ihre eigenen Angelegenheiten vernachlässigen müssen. Dies ist Sklaverei und um ein Vielfaches schlimmer als die amerikanische Sklaverei, die England früher so sehr schmerzte. … Rhodesien ist ein gut gewählter Name für dieses Land von Piraterie und Plünderung. Er gibt dem Schandfleck die richtige Bedeutung.

Theoretisch hätte Twain einem jungen indischen Anwalt in Pretoria oder Pietermaritzburg begegnen können, der sich seit 1893 für die Rechte seiner Landsleute in Südafrika einsetzte. Aber er hätte auch dann nicht erahnen können, dass dieser 25-jährige Inder einmal die entscheidende Rolle im Unabhängigkeitskampf seines Heimatlandes spielen würde: Mohandas K. Gandhi.

Später, als die USA den Philippinen den Krieg erklärten, wurde Twain Mitglied der antiimperialistischen Gesellschaft in seinem Heimatland. Genau zu jenem Krieg verfasste Kipling sein berühmt-berüchtigtes Gedicht The White Man’s Burden: 

Take up the White Man’s burden

Send forth the best ye breed –
Go bind your sons to exile
To serve your captives‘ need;
To wait in heavy harness
On fluttered folk and wild –
Your new-caught sullen peoples,
Half devil and half child.

Mark Twain’s Beobachtungen und Kommentare sind eine wertvolle historische Quelle. Seine Schilderungen lassen den Leser zuweilen schmunzeln, aber häufiger noch halten sie ihm einen Spiegel vor. Heute wäre Twain vielleicht ein gefragter Analytiker in Fernseh-Talkshows, Kipling dagegen ein politisches Fossil, höchsten als englischer Premier geeignet.