Was waren das für Zeiten: Man konnte in den 1970er Jahren ohne Visum nach Indien, aber wehe der Impfpass war nicht dabei! Überhaupt war das gelbe Heftchen mit dem WHO-Emblem das zweitwichtigste Reisedokument. Und das war ganz selbstverständlich. Als ich im Juli 1974 mit Interrail nach Portugal reisen wollte, musste ich mich gegen Cholera impfen lassen – nach Portugal! Ich war Wehrdienstleistender und beim Morgenappell der Kompanie vor der Panzerjäger-Kaserne in Hildesheim, wurden alle, die einen Urlaub in Portugal planten, aufgefordert, zum Truppenarzt zu gehen, um sich impfen zu lassen. Ich war der Einzige, der sich meldete.
Mir kam das in den Sinn, als heute die erste reguläre Impfung gegen Covid im Vereinigten Königreich medienwirksam verabreicht wurde – an eine 90-jährige. Nun kann man kritisch mit der rapiden Entwicklung und Einführung eines neuartigen Impfschutzes umgehen. Aber das Coronavirus lässt den Epidemiologen keine Wahl: Es verbreitet sich über den Globus, die Menschheit hat keine Immunität dagegen und Menschen mit sogenannten komorbiden Faktoren drohen an dem Virus zu sterben.
Eine Impfung ist dabei das wichtigste Schutzmittel. Ich vertraue der medizinischen Wissenschaft und den Zulassungsbehörden. Ein Implantat von Bill Gates wird nicht in der Impfspritze enthalten sein (das Implantat von Bill Gates ist schon längst da und nennt sich Windows 🙂
Und die Medizin hat Fortschritte gemacht. Im September 1977, als ich mit zwei Freunden von Pakistan kommend in Indien einreiste, wurden am Bahnsteig der Grenzstation Wahga/Attari Road unsere Impfpässe kontrolliert. Während rechts der Grenzbeamte unsere Reisepässe stempelte wurden links Einreisende ohne gültige Pockenschutzimpfung vor Ort versorgt. Ein Freund hatte die Bescheinigung seines Arztes dabei. Er dürfe unter keinen Umständen geimpft werden, da für ihn Lebensgefahr bestehe. Die Nadel war schon in Richtung seines linken Oberarms unterwegs, weil er rechts seinen Reisepass im Auge behielt. Im letzten Moment konnte er zur Seite springen und das Schreiben hochhalten.
Noch im Jahr 1984 fand man in Delhi Roadside-Zahnärzte (das Bild stammt von der Jama Masjid in Old Delhi).
Aber auch in Indien hat Medizin Fortschritte gemacht. Das Land ist heute neben China einer der größten Produzenten von Arzeneimitteln. Welche der Covid-Impfungen die wirksamste ist, wird sich herausstellen. 7 Milliarden Menschen warten auf einen Schutz vor Corona.
Sobald ich „an der Reihe“ bin, werde ich mich impfen lassen. Unser Landkreis hat schon ein Impfzentrum eingerichtet. Und wenn ich demnächst ins Flugzeug steige und in den Tropen lande, zeige ich die Covid-Impfkarte vor. So selbstverständlich, wie den gelben Impfpass vor 40 Jahren.
British Vaccine Patriotism. The Guardian online, 9 December 2020
Weltsichten 