Sandakan: interniert und gefoltert in Borneo

Borneo steht für tropischen Regenwald, den Lebensraum der Orang Utans (trauriger Weise auch für dessen Zerstörung) und endlose unberührte Strände. Seine immer noch atemberaubende Landschaft verstellt den Blick auf das Schicksal der Insel im Zweiten Weltkrieg. An einigen Stellen aber sind Spuren davon erhalten, wie zum Beispiel in Sandakan im äußersten Nordosten Borneos.

Wer durch Sandakan oder die Metropolen Kuching oder Kota Kinabalu im malaysischen Nordborneo spaziert, findet Shopping Malls, internationale Hotelketten und ausgedehnte Villenviertel. Alles hat einen ein Hauch von Florida. Es ist nicht mehr zu erkennen, dass diese Städte im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurden. Mehr noch: unter Dschungel und Gestrüpp in der Umgebung verbergen sich einstige Gefangenenlager und Folterstätten der japanischen Besatzer. Borneo täuscht das Auge, weil die Natur schnell jede Spur zudeckt.

Blick auf die Innenstadt von Sandakan

Besonders deutlich wird das in Sandakan. Der Flughafen der Stadt liegt rund 30 Fahrminuten nördlich des Zentrums. Dort landen heute die Jets aus Kuala Lumpur oder Kota Kinabalu. Die Landebahn aber wurde im Zweiten Weltkrieg von australischen und britischen Kriegsgefangenen aus dem Dschungel geschlagen. Die mehr als 2500 Männer, untergebracht in einem nahegelegenen Lager, mussten unter den unbeschreiblichen Strapazen eines tropisch-heißen Klimas schuften, von Krankheiten und Untererährnung ausgemerkelt und bei jedem kleinsten Anlass geschunden.

Die Geschichte des Gefangenenlagers beim Flughafen Sandakan und der Todesmärsche ins 200 km entfernte Ranau im Mai 1945 blieb lange unerzählt. Es gab Niemanden, der sie hätte erzählen können, meint die Historikerin Lynette Ramsay Silver, die sich mit  Sabah und Sandakan unter japanischer Besatzung zwischen 1942 und 1945 beschäftigt hat. Von den 1700 australischen und 800 britischen Gefangenen haben nur 6 Australier überlebt – weil sie fliehen konnten. Sandakan sei vor allem für Australien eine der schlimmsten Tragödien des Zweiten Weltkrieges gewesen, so unsäglich, dass die australische Regierung bis zum Beginn der 2000er Jahre dazu geschwiegen habe.

Nach der handstreichartigen Eroberung Südostasiens waren zwischen 1941 und 1942 in Singapur gefangen genommene Soldaten in das Lager nach Sandakan überstellt worden. Hier sollte eine Luftwaffenbasis für japanischen Nachschub entstehen. Es gelang den Männern immer wieder, die Arbeiten zu sabotieren, so dass der Bau nie ganz fertig wurde. Mit der heran nahenden Front der Alliierten im Mai 1945 plante man die Überlebenden des Lagers nach Ranau zu verlegen, in einem Fußmarsch von mehr als 200 km durch Dschungel und Flussläufe, bei extremer Hitze und Feuchte. Insgesamt drei solcher Märsche wurden durchgeführt. Viele der jungen Männer starben unterwegs, die übrigen nach der Ankunft in Ranau. Ein Kriegsverbrechen im Dschungel Borneos.


Quellen und weitere Informationen:

Sandakan Gefangenenlager bei Wikipedia

Sandakan Death Marches

Chronologie des Pazifikkrieges bei Wikipedia

Japanische Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg, eine ausführliche Darstellung bei Wkipedia


Mitten in einem Wohngebiet des modernen Sandakan, ein paar Fahrminuten vom Flughafen entfernt, liegt eine grüne Insel, der Sandakan Memorial Park. Bäume, Büsche, ein kleiner Teich, gepflegte Gehwege – ein tropisches Paradies. Dieses friedliche Stückchen Borneo liegt auf dem Gelände des einstigen Kriegsgefangenenlagers. Der Besucher kann heute über Stiegen und Gehwege durch das Gelände spazieren, übrigens auch virtuell über Google Street View! Einige verrostete Maschinen aus dem Lager stehen zwischen den Pflanzen. Den Mittelpunkt des Parks, an der einst ein riesiger Baum stand, markiert eine Stele. Das Dokumentationszentrum ist in einem schlichten Holzhaus untergebracht. Es erinnert mit Texten, Fotos und einem Modell des Lagers daran, was an diesem Ort vor mehr als 70 Jahren geschah.

Neben westlichen Zivilisten und Soldaten waren auch Chinesen und die lokale malaysische Bevölkerung Opfer der japanischen Besatzung. Die meisten wurden als Zwangsarbeiter rekrutiert, Zehntausende kamen allein in Indonesien und Malaysia ums Leben. Dabei rechtfertigte Japan seine Eroberung unter dem Schlagwort „Asien den Asiaten“.

Es fällt dem heutigen Japan immer noch schwer, die Gräuel aufzuarbeiten. Sein Wiederaufbau und seine derzeitige Wirtschaftsmacht werden zwar auch in Südostasien respektiert. Unter den Bäumen im Sandakan Memorial Park kann man sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass bei der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung in der Region, ganz besonders in Malaysia, kaum Zeit für eine Erinnerungskultur ist. Umso bemerkenswerter, dass die Regierungen von Sabah und Australien einen solchen Ort der Erinnerung geschaffen haben. Für die Angehörigen der gefallenen Australier und Briten bleibt Sandakan ein Ort, an dem ihre Väter und Söhne als Opfer der imperialen Ambitionen des japanischen Kaiserreiches ihr Leben verloren.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Zeitzeugin Agnes Newton Keith

Wer den Sandakan Heritage Trail abläuft (ein markierter Weg zu wichtigen historischen Denkmälern der Stadt), kommt auf dem Höhenzug über dem Stadtzentrum zum „Agnes Keith House“. Hier lebte die amerikanische Autorin an der Seite ihres Mannes, des Briten Henry Keith, von 1935 bis zur Verschleppung und Internierung der Familie durch die Japaner im Januar 1942. Henry Keith war oberster Forstbeamter der britischen Kolonialverwaltung. Im Mai 1942 wurden alle Europäer, Amerikaner und Australier in Sandakan auf die Insel Berhala vor der Küste verfrachtet. Frauen und Kinder getrennt von ihren Männern. Japan war kein Unterzeichner der Genfer Konvention und so wurden Zivilisten einschließlich kleiner Kinder wie Kriegsgefangene behandelt. Im Januar 1943 verfrachtete man die Gruppe in das Lager Batu Lintang in Kuching, der Hauptstadt von Sarawak, zehn Tage Schiffsreise entfernt. Hier lebten und überlebten die Keiths und ihre Mitgefangenen bis zur Befreiung durch die Allierten im September 1945.

Über die dreieinhalb Jahre in japanischer Gefangenschaft, zusammen mit ihrem damals zweijährigen Sohn George, hat Agnes Newton Keith nach der Rückkehr in die USA ein Buch geschrieben. Es war ihr gelungen, Notizen zu verstecken und sie vollständig in die Heimat mitzunehmen. All dies unter ständiger Bedrohung durch Schläge und Sanktionen. „Three Came Home“ wurde schon kurze Zeit später von 20th Century Fox verfilmt (siehe YouTube clip).

Der Film gibt aber nicht die tatsächlichen Lebensbedingungen der zivilen Gefangenen wieder. Im Buch beschreibt Keith fast nüchtern das Leben im Camp, mit Krankheiten und andauerndem Hunger, mit unbeschreiblichen hygienischen Bedingungen und der dauernden Angst vor Misshandlungen oder gar Hinrichtung. Die Autorin bleibt trotzdem sachlich, eine Chronistin des eigentlich Unbeschreiblichen. Aber Hass, so notiert sie, mache nur noch schwächer. Die Sorge um den kleinen George an ihrer Seite und um ihren Mann geben ihr die Stärke zum Überleben. Aber darauf hätte sie im Lager in Kuching keine Wette abgeschlossen.

Das „Agnes Keith House“ in Sandakan, heute ein Museum der Regierung von Sabah zu Leben und literarischem Werk der Amerikanerin

Quellen zu Agnes Newton Keith:

Agnes Newton Keith bei Wikipedia (in English)


Agnes Newton Keith hat dem Gräuel der japanischen Besatzung, zu deren Opfer auch Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder gehörten, mit ihrem Buch „Three Came Home“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Sie starb 1982 in den USA, im selben Jahr, wie ihr Mann. Ihr Sohn George starb 2001 nur 61-jährig.

Den australischen und britischen zum Tode Gemarterten wurde erst durch die Arbeit von Lynette Silver ein Denkmal gesetzt. Im Jahr 2011 hat die Regierung von Sabah vor dem Rathaus von Sandakan eine Plakette enthüllt.

Auch den chinesischen Opfern und gefallenen Japanern sind in Sandakan Gedenksteine gewidmet. Viele der verantwortlichen japanischen Militärs begingen Selbstmord, so der Kommandant der Lager auf Borneo, Tasuji Suga, oder wurden in Prozessen vor Ort zum Tode verurteilt. Die Gräueltaten Japans in den besetzten Gebieten Südostasiens sind zwar dokumentiert (z.B. im Nationalmuseum in Singapur), aber die Dekolonialisierung nach dem Krieg und die unter dem Vorzeichen des Ost-West-Konflikts (Indochina, Malaya, Niederländisch-Indien) entstehenden Bürgerkriege in fast allen Ländern haben sie historisch in gewisser Weise relativiert.

Das Japan von 1941 bis 1945 ist nicht das Japan von 2019, ebenso wie Deutschland von 1939-45 nicht das Deutschland von heute ist (wenn man sich ansieht, dass bei den jüngsten thüringischen Landtagswahlen im Wahlkreis Ettersburg, in Gehentfernung zum einstigen KZ Buchenwald, immerhin noch 17,8 % für eine Partei gestimmt hat, welche die Nazivergangenheit relativiert, mag man das bezweifeln). In Südostasien steht die bittere Erinnerung dem touristisch vermarktbaren Image von Inseln, Stränden und Palmen im Wege. Wer sie aber vor Ort sucht oder wissenschaftlich erforscht, kann dazu beitragen, dass sie nicht verlöscht. Das gilt für Japan und Borneo ebenso wie für Deutschland und Europa.

Weitere Infos: Borneo Post online, 12. Mai 2021

P.S.: Manchmal scheint sich Geschichte zu wiederholen.